Ein weites Feld

SZENISCHE LESUNG Bremer Studierende rekonstruieren mit Schauspielern der Shakespeare Company den Ersten Weltkrieg und seine Folgen für Bremen im Theater am Leibnizplatz

Karl Kraus veranschlagte einst rund zehn Abende für das Thema

von Andreas Schnell

Selbst wenn man das Thema aufs kleine Bremen herunterbricht: Der Erste Weltkrieg, von dem damals niemand wusste, dass er der erste seiner Art war, weshalb er damals einfach Weltkrieg hieß, ist ein großes Thema für die Bühne. Karl Kraus veranschlagte einst rund zehn Abende dafür.

Das Studierendenprojekt „Aus den Akten auf die Bühne“ hat sich nun unter der Leitung von Dr. Eva Schöck-Quinteros des sperrigen Sujets angenommen – und schaffte damit das wacker bemühte Ensemble der Shakespeare Company, das aus den zwei dicken Bänden, von denen der zweite zur Premiere nicht fertig ward und der erste immerhin rund 430 Seiten fasst, einen Bühnenabend kondensieren musste.

Anders als bei bei den letzten Projekten, die an Einzelfällen wie der KZ-Aufseherin Margarete Ries oder des Revolutionärs Johann Knief das Allgemeine aus dem Besonderen ableiteten, eignet sich so ein Weltkrieg seiner Komplexität wegen natürlich nicht ganz so gut für eine dramatische Verdichtung. Zeitungsausschnitte und öffentliche Verlautbarungen liefern nun den historischen Rahmen, der Briefwechsel der revolutionär gesinnten Arbeiterfamilie Pöhland und die Tagebuchaufzeichnungen der patriotischen Apothekerfrau Wilhelmine Buchholtz leuchten die Auswirkungen des Kriegs aus eher individueller Warte aus, Schlaglichter aus der Psychiatrie und dem kulturellen Leben lassen die Atmosphäre in der Stadt erahnen.

Während die Episode aus Bremen-Ost in „Eine Stadt im Krieg. Bremen 1914-1918“ relativ unvermittelt erzählt wird, gleichwohl sie laut Schöck-Quinteros Ausgangspunkt der Recherchen war, ist es vor allem die Szene auf dem Theater, die – neben dem anrührenden Briefwechsel der Familie Pöhland – Leben in die szenische Lesung bringt. Wir werden da beispielsweise Zeuge einer Probe des Stücks „Die Heilige Not“, 1914 von Johann Wiegand, dem damaligen Intendanten des Schauspielhauses, und dem Schriftsteller und Pädagogen Wilhelm Scharrelmann zur geistigen Mobilmachung verfasst. Auch die Kontroverse um den russischen Opernsänger Juan Spivak gibt szenisch durchaus etwas her: Der Künstler wurde wegen seiner Staatszugehörigkeit nach massiven Protesten des Theaterpublikums aus dem Ensemble entlassen.

Das grundlegende Problem, den Krieg und seine Auswirkungen auf das Leben einer Stadt im Rahmen einer rund zweistündigen szenischen Lesung auf die Bühne zu bringen, verhindert aber nicht, dass dieser Abend eine durchaus spannende und lehrreiche Angelegenheit ist. Gewiss, die historischen Daten lassen sich ohne weiteres anderswo nachlesen, die Opferzahlen sind bekannt, vielleicht ja auch die Bilder der grausam verstümmelten Soldaten. Weniger deutlich im kollektiven Bewusstsein verankert dürfte indes sein, dass so ein Krieg eben nicht nur an der Front geführt wird, sondern auch tief in den Alltag der Gesellschaft fern Front eingreift, was natürlich Clausewitz auch schon wusste, aber der gehört leider nicht unbedingt zur Allgemeinbildung.

Die Heimatfront heißt nicht umsonst so, muss schließlich nicht nur materiellen Nachschub liefern, sondern auch moralische Unterstützung. Je nach Stand der Dinge gibt es auch dort erhebliche Drangsal zu erleiden. Und während die blanke Zahl von über 8 Millionen Toten dieses Kriegs einerseits erschüttert, andererseits aber eigenartig abstrakt, im unmittelbarsten Sinne unbegreifbar bleibt, schärft der Fokus auf das individuelle Schicksal von Robert Pöhland und seiner Familie den Blick für die Grausamkeit jedes Kriegs. Da schießen nun mal stets Menschen andere Menschen kaputt – im Dienste „höherer Werte“, die mal Vaterland, mal Freiheit, mal Demokratie heißen.

■ die nächsten Vorstellungen: heute & Montag, 19.30 Uhr, Theater am Leibnizplatz