: Archäologische Selbstbeweihräucherung
ZWIST In Köln bezieht der Streit über das Jüdische Museum Ausgrabungen mit ein – und eskaliert
Es ist eine vorhersehbare Schraubendrehung, die noch fehlte im lang anhaltenden Streit über das Jüdische Museum in Köln, in dessen unmittelbarer Nähe archäologische Grabungen stattfinden.
Ihr Leiter Sven Schütte hat in der israelischen Zeitung Ha’aretz Gegnern der Grabungen vorgeworfen, sie seien „von einem latenten Antisemitismus“ motiviert. So war es am vergangenen Samstag zu lesen. Schütte wies die Darstellung im Kölner Stadt-Anzeiger prompt zurück, seine Aussagen seien aus dem Zusammenhang gerissen worden. Bisher hatten Befürworter und Gegner des Großprojekts den Antisemitismusverdacht aus ihrer Diskussion weitgehend rausgehalten. Damit ist jetzt Schluss, Schütte will den Streit dramatisieren.
Auf dem geschichtsträchtigen Platz vor dem historischen Rathaus befanden sich in der Antike die Bauten der römischen Statthalter und im Mittelalter das größte jüdische Viertel nördlich der Alpen. Funde aus jener Zeit sollen in einer archäologischen Zone, die einen unterirdischen Ausstellungparcours mit dem zu errichtenden Jüdischen Museum verbindet, präsentiert werden.
Unbestritten ist, dass die rechtsextreme „Bürgerbewegung pro Köln“ und auch einige Kölner bei einer Bürgerbefragung mit rassistischen Äußerungen gegen das Projekt Front machten.
Unbestritten ist aber auch, dass die Kritik, wie sie die CDU oder die Bürgerinitiative „Mut zum Verzicht“ üben, nicht mit der Antisemitismuskeule beiseitezuwischen ist: 52 Millionen Euro soll der Bau kosten, zu dem das Land NRW gerade einmal 14 Millionen beisteuert.
Gleichzeitig muss die Stadt Köln 300 Millionen Euro einsparen, denkt über Museumsfusionen nach und will den Tanz an den Städtischen Bühnen einsparen. Schüttes Äußerung ist bezeichnend. Sein Vorwurf richtet sich ausdrücklich an die „Gegner der Grabungen“, nicht die des Jüdischen Museums.
Der Grabungsleiter stilisiert sich so selbst zum Opfer von Anfeindungen seiner Kritiker – und die gibt es reichlich. Zweifel an Schüttes wissenschaftlicher Seriosität wollen nicht verstummen, gerade auch im Beirat der Archäologischen Zone. Schüttes Äußerungen dienen so nicht dem Bau des Jüdischen Museums, sondern vor allem der Selbstbeweihräucherung als Mahner und Archäologe. Wie der Kölner Stadt-Anzeiger am Mittwoch meldete, will Kölns Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) den Grabungsleiter nun versetzen.
CHRISTOPH ZIMMERMANN