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Archiv-Artikel

Unsere kleine Farm

STRASSENMUSIK Das US-Folkduo A Hawk & A Hacksaw holt sich den Blues im Nahen und Mittleren Osten

„Es wird viel über die Balkankriege geredet, aber man vergisst, dass es dort eine reiche Musiktradition gibt“

JEREMY BARNES

Den Weg zu ihrem Sound muss man sich als Roadtrip vorstellen. Von Bukarest über Istanbul bis nach Nahost. Jeremy Barnes schwärmt von den Konzerten auf der Straße, die sie in Rumänien gegeben haben. „In Bukarest hat eine ganze Horde Kinder um uns herum getanzt, so was vergisst man nie“, sagt er. Am selben Abend seien einige zum Konzert gekommen. „Die haben sich erst nicht reingetraut, unser Roadie hat sie dann eingeschleust.“

Jeremy Barnes und Heather Trost, das Duo A Hawk And A Hacksaw, sind auch privat ein Paar. Obgleich aus New Mexico stammend, ist ihr Sound deutlich von Balkan-, Klezmer-, Gypsy- und türkischer Musik geprägt. Man könnte die Musik der beiden aus Albuquerque Eastern Blues nennen. Barnes, 36, bedient meist das Akkordeon, Trost, 30, spielt die Geige.

Im vergangenen Jahr ging das Duo mit einem nachträglich eingespielten Soundtrack zum russischen Dissidenten-Film „Shadows of forgotten ancestors“ auf Tour – einem poetischen Film aus den Sechzigern, der sich gegen das Diktat des sozialistischen Realismus wandte. Nun erscheint der Score, erweitert um neue Songs, auf ihrem Album „You have already gone to the other world“. Titel des Werks ist ein Zitat aus dem Film.

Tresen und Theater

A Hawk And A Hacksaw – zwei Wandler zwischen Kulturen: Auf der einen Seite spielen sie Straßen- und Kneipenmusik, dann sind die beiden wieder auf großen Bühnen unterwegs. „Ich bin froh, dass wir uns nicht zwischen diesen Welten entscheiden müssen“, sagt Barnes. A Hawk and a Hacksaw gelten als Pioniere der Adaption osteuropäischer Musiktraditionen in den Popkontext. Auch am Debütalbum der heute weitaus erfolgreicheren Band Beirut waren sie 2006 beteiligt, deren Mastermind Zach Condon stammt ebenfalls aus Albuquerque. „Beirut machen Pop, wir nicht“, stellt Barnes klar. A Hawk And A Hacksaw suchen weiter nach den Wurzeln und reisen regelmäßig nach Rumänien, in die Türkei oder nach Israel, um Klänge und ihre regionalen Unterschiede besser kennenzulernen.

Die Geschichte nimmt ihren Anfang, als die Indie-Rock-Band Neutral Milk Hotel, deren Schlagzeuger Barnes war, sich 1998 auflöst. Zunächst zieht Barnes ins britische Leicester und verdient sein Geld als Briefträger. Dort beginnt er mit Flüchtlingen – Roma, Bulgaren, Kurden – Musik zu machen. „Ich brauchte anderen Input.“ Barnes reist selbst nach Rumänien, gleichzeitig gründet er eine Ein-Mann-Band, Name A Hawk And A Hacksaw, und probiert sich an Cembalo und Akkordeon.

Das Debütalbum, 2002, nimmt er alleine auf. Heather Trost trifft Barnes erst, als er 2005 nach Albuquerque zurückkehrt. Sie beginnen gemeinsam Musik zu machen und verbringen zwei Jahre zusammen in Budapest und nehmen die nächsten beiden Alben mit ungarischen Folk-Musikern auf. „Es wird viel über die Balkankriege und ihre Folgen, über osteuropäischen Nationalismus geredet, und das ist auch okay. Dabei vergisst man aber Kunst, Musik und die Alltagskultur in der Region.“

Über die Lage der Roma in Rumänien berichtet er: „Wir haben beide Seiten gesehen, Polizisten, die Roma-Frauen angegriffen haben, genauso wie Roma, die erbittert alle Nicht-Roma gehasst haben. Es ist ein komplizierter, lang anhaltender Konflikt.“

Balkan- und Rommusik klingt prominent aus jedem einzelnen Track, den A Hawk and A Hacksaw spielen. Ihr neues Werk ist überwiegend instrumental, nur in zwei Stücken sind Chorgesänge zu hören, in zwei weiteren Trosts Stimme. Bei „Open it up, Rose“ scheint auf einer Geige in Moll die ganze Schwere der osteuropäischen Seele zu lasten, ehe Barnes und Trost mit „You have already gone to the other world“ Fahrt aufnehmen, nun mit groovy Trommeln einsteigen, Cembalo und Fiedel kommen dazu.

„You have already gone to the other world“ schwankt zwischen Euphorie und Depression – von einem in den anderen Gemütszustand in wenigen Sekunden. Zu den melancholischen Grundtönen kehren sie in den 16 Stücken immer wieder zurück – die Musik ist wie ein Konzeptalbum strukturiert.

Mittlerweile lebt das Paar auf dem Land in New Mexico in einer kleinen Farm. Barnes erzählt vom Hund „Klaus“, vom Gemüseanbau, von der Hausmusik. Eigentlich aber ist A Hawk And A Hacksaw eine Band, die auf die Straße gehört. Und der man dort auch gerne zuhört. JENS UTHOFF

■ A Hawk And A Hacksaw: „You have already gone to the other world“ (L. M. Duplication/Indigo); live: heute Hamburg, „Kampnagel“, 13. 4. Berlin, „Haus Ungarn“