Grüne Realos in der Grauzone
: KOMMENTAR VON STEFAN REINECKE

Der grüne Exaußenminister Joschka Fischer meint, dass wir „Grauzonen“ im Kampf gegen den Terror akzeptieren müssen. Im selben Atemzug bekundet er, dass „selbstverständlich“ immer die Verfassung gilt. Eher unfreiwillig hat Fischer damit den Widerspruch der grünen Außenpolitik auf den Punkt gebracht. Sie wollte transatlantische Realpolitik und Menschenrechtspolitik verbinden. Fischer suggeriert, dass zusammen geht, was nicht zusammenpasst – nämlich Informationen aus dem US-Sondergefängnis Guantánamo zu verwenden und zugleich das im Grundgesetz verbriefte absolute Folterverbot zu respektieren.

Dies ist klassische Doppelmoral. Auch wenn Fischer der Bush-Regierung mannhaft seine Kritik an Guantánamo vorgetragen hat, fragt sich: Wie ernst nimmt die US-Regierung jemanden, der mit erhobenem Zeigefinger auf Guantánamo weist, um dann die Ergebnisse dortiger Verhöre zu verwenden?

Im Zweifel für die Staatsräson – so lautet Fischers Botschaft. Sie mag bei Otto Schily oder Wolfgang Schäuble nicht überraschen. Für die Grünen allerdings, die lange fast die Alleinzuständigkeit für Menschenrechte reklamierten, ist dies ein Desaster, das sie selbst noch gar nicht begriffen haben.

Die Grünen wirken in der Folterdebatte derzeit leicht gespenstisch, wie aus der Zeit gefallen. Die Verteidigung des Folterverbots als eines absolut gültigen Prinzips müsste eigentlich ein Heimspiel für sie sein. Aber so ist es nicht. Was sie vorführen, ähnelt einem Zickzacklauf zwischen verzagtem Angriff und zerknirschter Verteidigung. Viele grüne Politiker tragen immer noch die alten Texte vor. Sie reden so, als gelte es, dem grünen Starminister Joschka Fischer an der Heimatfront bei seinem schwierigen Spagat zwischen Realpolitik und Menschenrechten den Rücken frei zu halten.

Und wo sie mal forsch werden, klingen sie schief: „Wir unterscheiden uns von den USA – Folter ist für uns in Europa nicht akzeptabel“, hat Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast gesagt. Doch genau dies hat Rot-Grün unter der Hand getan: stillschweigend die Folterpraxis der USA akzeptiert. Regieren ist schwierig. Wieder Opposition zu werden offenbar noch mehr.