: Park der guten Hoffnung
Hunderte verloren ihren Job, als das Space Center, der Bremer Indoor-Freizeitpark, vor gut einem Jahr auf dem harten Boden der Realität aufschlug. Viele warten noch heute auf ihr letztes Gehalt. Und viele träumen noch immer von einem Neustart des Projekts
Ölen, schmieren, bewegen. Von links nach rechts, von unten nach oben. Und wieder zurück. An, aus. Saugen, fegen, wischen. Und weiter warten. Acht Fahrgeschäfte muss Bernd Hollwedel betreuen, gut 150 Lichteffektgeräte, die nicht mehr leuchten, regelmäßig in Bewegung setzen. Hollwedel pflegt, was niemand mehr nutzt. Seit über einem Jahr. „Werterhaltung“ heißt das im Jargon der Insolvenzverwalter.
Hollwedels Arbeitsplatz ist berühmt in Bremen. 16.000 Quadratmeter überdachter Freizeitpark, samt 3D- und 4D-Kino. Alles leer, alles außer Betrieb. Und alles wartungsbedürftig. Der Galaxie-Express etwa: Die Wagen, die einst durch die Betonhalle brausten, stehen auf Hartgummirädern. „Wenn wir die nicht ständig von der einen in die andere Ecke schieben“, erklärt Hollwedel, „dann dellt das“. Auch den Space Shot hinten auf der Plaza lässt er starten. Nicht wegen der Höhenflüge. Sondern gegen die Standkorrosion.
Als das Bremer Space Center im September 2004 nach ganzen neun Monaten seine Tore wieder schloss, brachte das die Bedienmannschaften, die KassiererInnen und die AnimateurInnen um ihren Job. Der frühere Technik-Chef dagegen durfte bleiben: den Stillstand warten. Seit Oktober ist auch er nur noch auf Honorarbasis beschäftigt, sein Vertrag muss jeden Monat neu verlängert werden. Mit dem Gedanken an ein endgültiges Aus für das Raumfahrt-Vergnügungs-Experiment an der Weser will Hollwedel sich dennoch nicht anfreunden. „Ich glaub’ noch daran, dass das Space Center eine Zukunft hat“, sagt er. Es klingt fast trotzig.
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Timo Meyer hat der Zukunft, seiner eigenen zumindest, schon mal auf die Sprünge geholfen. Sie liegt in Walle, zweieinhalb Kilometer Luftlinie vom Space Park entfernt. 50 Quadratmeter misst sein neues Reich, Erdgeschoss, alles selbst renoviert. 1,10 Euro will Meyer für die Tasse Tee, der Apfelkuchen ist von seiner Großmutter, die Espresso-Maschine hat er bei einer Zwangsversteigerung erstanden. „Kaffeesatz“ hat Meyer sein Café genannt. Die Wand neben der Theke ziert eine Ausgabe der New York Times, von 1969. „Men walk on moon“, prangt die Schlagzeile. Ein bisschen Raumfahrt muss schon sein.
Auch im Schaufenster: Neben Kaffeebechern und Bremensien liegen Baseball-Kappen mit aufgesticktem Wankel, dem Space Park-Logo. Meyer verkauft sie auch auf Flohmärkten, ein Dutzend pro Woche. Die Restbestände an Mützen dürften noch Jahre reichen.
Sieht man von den Planern ab, war Meyer vielleicht der erste Mitarbeiter des Space Center, zumindest der erste im Geiste. Schon in den 90ern, als ein Modell des Einkaufs- und Erlebniszentrums ausgestellt ist, schickt der Weltraum-Fan eine Blindbewerbung los. „Für mich war klar: Das willst du“, sagt er: „Anderen Leuten Spaß machen, das ist ein Glücksgefühl.“
Eine Antwort auf seine Bewerbung bekommt Meyer nie. Acht Jahre später, als die Eröffnung des Freizeitparks in Sicht rückt, steht der gelernte Textilkaufmann dennoch wieder auf der Matte, wie Tausende von Jobsuchenden. Diesmal hat er mehr Glück. Als Leiter der Kostümabteilung lässt er Hosen und Hemden auf Maß schneidern, „Phaser“ anfertigen, Lichtwaffen, Science-Fiction-Uniformen designen. Meyer holt einen Nachbau des Mondautos an die Weser, Original Raumanzüge. „Ganz exquisite Sachen“, unterstreicht er und guckt dabei ganz fest durch seine durchsichtige Brille.
„Einen cooleren Job konnte man gar nicht haben“, schwärmt er: „Man ging in den Freizeitpark, nicht zur Arbeit.“ Meyer ging zwölf Monate hin. Dann wollten die Dresdner Bank und die Stadt Bremen keine weiteren Kredite mehr geben. Ein endgültiges Aus? „Mit der richtigen Finanzierung und Struktur läuft so’n Ding – auch in Bremen“, ist Meyer überzeugt. Der Glanz in seinen Augen kommt nicht nur von den Thekenlichtern. „Wenn die mich anrufen würden“, sinniert er über seine früheren Arbeitgeber, „ich würde es heute noch machen“. Eigenes Café hin oder her.
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An den 27. August 2004 kann sich Mefi Z. noch gut erinnern. An das Radio morgens, das schon verkündet: Das Space Center wird heute allen Beschäftigten kündigen. An die teils niedergeschlagenen, teils wütenden KollegInnen. Mefi Z. sieht noch vor sich, wie einer der Chefs durch die Halle läuft, die Bedenken zerstreut, „ich sag’ euch heut’ Abend, wie’s weitergeht“ erzählt, und dass alle nach der Arbeit ins Star Trek-Theater kommen sollen. Die Ansprache dort fällt knapp aus. Der Chef weist auf drei Pappkartons. „Hier sind die Kündigungen“, soll er gesagt haben, „alphabetisch sortiert. Da kann sich jeder seine mitnehmen.“ Und dass die 1.000 Gäste, die gleich eine Veranstaltung gebucht hätten, doch bitte anständig betreut werden sollten.
Mefi Z., die Näherin, und Timo Meyer, ihr Teamleiter, sind unter den letzten, die gehen. Sie sammeln die Uniformen wieder ein, die niemand mehr tragen wird, hängen sie in den Schrank, legen die Hemden ins Regal. Der Faden in der Nähmaschine bleibt. „Wir haben unsere Abteilung so hinterlassen, als wenn wir am nächsten Tag wieder anfangen würden“, erinnert sich Mefi Z. „Mefi vom Arbeitsamt“, stellt sie sich inzwischen vor.
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Die Bundesagentur für Arbeit richtet damals, nach der Massenkündigung, einen Sonderschalter ein. Auch Meyer spricht dort vor. „Sie sind doch schon über 30“, erfährt er: „Sie sind nicht mehr vermittelbar.“
Immerhin: Meyer hat sein letztes Gehalt voll ausgezahlt bekommen. Dutzende andere warten darauf bis heute. Auf ihrem Zeitarbeitskonto, teilt ihnen die Geschäftsführung mit, hätten sich Minusstunden angesammelt, die sie mit ihrem Urlaub und ihrem Restlohn verrechnen müssten. Das ist zwar illegal. Bis aber die Gerichte Recht sprechen können, hat die Space Center Betriebs GmbH längst Konkurs angemeldet. Die Lohnforderungen der Ex-Beschäftigten wandern auf die Gläubiger-Liste des Insolvenzverwalters, ganz weit nach hinten. Maximal mit einem Bruchteil des ihnen zustehenden Geldes können sie noch rechnen, und auch das erst bei Abschluss des Insolvenzverfahrens.
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Seit dem 18. November 2005 ist alles anders, irgendwie. Zwar schäumt Timo Meyer weiterhin Latti Macchiati auf. Bernd Hollwedel schaut weiter nach der Achterbahn. Und Mefi Z., die Näherin, sucht noch immer nach einem Job, der ihr länger als drei Monate bleibt. An jenem Freitag aber meldet das Radio: „Bremer Space Park verkauft“. Für einen zweistelligen Millionenbetrag. An die kanadischen Investoren von Triple Five. In Meyers Café steht das Telefon nicht mehr still.
Es sind die Ex-KollegInnen. Die arbeitslosen, die ab und an im Café vorbeischauen, um auf dem Laufenden zu bleiben. Und die, die längst einen anderen Job gefunden haben. Die umgezogen sind, weg von Bremen. Sie alle haben nur eine Frage: Geht es jetzt weiter? Auch Meyer greift zum Hörer, erzählt, was passiert ist. „Ich würde jederzeit wieder zurückgehen“, versichert Mefi Z.
Triple Five hat die Immobilie gekauft, mehr nicht: die Halle, in der sich das Space Center eingemietet hat, und die gigantischen, niemals benutzten Ladenpassagen. Was genau die neuen Eigentümer vorhaben, ist unklar. Von einer Spielhalle ist die Rede, mit tausenden von Automaten. Von einem Raumfahrt-Erlebnispark mit Galaxie Express und Star Trek Borg Encounter spricht niemand.
Meyer löst die Hände von der Theke, bückt sich. Zwischen Sandwichs und Kaffeetassen zieht der Coffeebar-Betreiber einen hölzernen Ring hervor, groß wie ein Kuchenteller, mit einem aufgeschraubten Edelstahl-Flansch. Seine Finger spielen mit dem Bajonettverschluss. Der Ring ist ein Helmring. Der Aufsatz für den Raumfahrerhelm. Der Anfang vom eigenen Raumanzug.
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Bernd Hollwedel verlässt den Borg Encounter, die virtuelle Raumfahrt-Mission. Auch er, der Wartungs-Beauftragte, wartet. Wartet auf eine Entscheidung: Ob und wie es weitergeht.
Hollwedel läuft durch die Schleuse, vorbei an den Schaltschränken, in denen nichts mehr piept und blinkt, tritt hinaus in die große Halle. Nüchternes Arbeitslicht erhellt den Raum, von Weltraumstimmung keine Spur. Hollwedel folgt den grauen Schienen auf dem Boden. Hinter einer Biegung stehen schlichte Wägelchen. Zu Space Center-Zeiten chauffierten sie die BesucherInnen durch ein dunkles Nichts, aus dem fliegende Roboter die Gäste attackierten. Die mussten sich mit Laserwaffen wehren. Bei Helligkeit haben die außerirdischen Angreifer jeden Schrecken verloren. Wie gelbe Plastikschüsseln, die man auf den Kopf gestülpt hat, sitzen sie auf ihrer Halterung, mit gebogenen Beinen, die an der Unterseite hervorragen. Die Schüsse aus den „Phasern“, erläutert Hollwedel, hätten die Roboterwesen zwar vom Angriff auf die BesucherInnen abgebracht. Endgültig „deaktivieren“ konnte man die Bewohner des Alls aber nicht. Sie nahmen sich nur den nächsten Eindringling vor. Armin Simon