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Archiv-Artikel

Die Dose des Fernando Martín Peña

KLASSIKER Die Ausstellung „The Complete Metropolis“ im Berliner Museum für Film und Fernsehen bereitet auf eine besondere Premiere vor: Im Februar wird die rekonstruierte, als vollständig geltende Fassung von Fritz Langs „Metropolis“ präsentiert

Ein Filmvorführer wollte einst eine Fassung von „Metropolis“ vorgeführt haben, die über zwei Stunden lang war. Wenn das stimmte, dann war das eine Sensation

VON BERT REBHANDL

Die Dose steht auf halbem Weg durch die Ausstellung in einer Vitrine. Es ist eine gewöhnliche Filmdose, wie sie auf der ganzen Welt in vielen Regalen liegt. In der Regel enthält sie Filmmaterial, aber die Dose in der Ausstellung „The Complete Metropolis“ ist leer. Denn sie hat ihre Schuldigkeit getan. Sie hat in einem Archiv in Buenos Aires den Film „Metropolis“ von Fritz Lang vor den Zeitläuften behütet. Sie hat eine 16-mm-Kopie des vielleicht berühmtesten deutschen Films überliefert. Wenn nicht der argentinische Filmhistoriker Fernando Martín Peña genau aufgepasst hätte, wäre die Dose vielleicht nie geöffnet worden. Doch Peña hatte da einmal etwas aufgeschnappt über einen Filmvorführer, der eine Fassung von „Metropolis“ vorgeführt haben wollte, die über zwei Stunden lang war. Wenn das stimmte, dann war das eine Sensation. Denn dann musste in Buenos Aires eine Fassung von „Metropolis“ liegen, die länger als die bisher überlieferten wäre – unter Umständen sogar vollständig.

Unter den Ruinen der Filmgeschichte ist „Metropolis“ so etwas wie der Turm von Babel. 1927 kam die Geschichte von der vertikal geschichteten Stadt, dem Archetypus einer Klassengesellschaft, in die Kinos – ein Blockbuster voll mythischer Anklänge, mit ungeahnten Spezialeffekten, mit einem Roboteridol und einer Herzmaschine. Nie zuvor wollte der Film in Deutschland höher hinaus, doch die Ernüchterung kam bald. „Metropolis“ fand nicht genügend Zuschauer. Die Kritiker wollten kein Meisterwerk erkennen, sondern ein überlanges Spektakel, dem es an Logik und Gefühl fehlte. So kam es, dass eine neue Schnittfassung hergestellt wurde, die kürzer war und dem Verständnis abträglich.

Eine Kopie des Originals wurde nicht überliefert, so dass „Metropolis“ – inzwischen längst als Klassiker rehabilitiert – seither als verschollen gelten musste. Bekannt war nur eine lückenhafte Version, in der immer wieder Einblendungen darauf hinwiesen, dass Szenen fehlten. In der Romanvorlage von Thea Harbou lässt sich nachlesen, wie die Geschichte hätte verlaufen sollen – nur die Bilder, die Fritz Lang daraus gemacht hat, fehlten. Nun aber ist vor zwei Jahren in Argentinien diese Kopie von „Metropolis“ aufgetaucht, die einen großen Teil des verloren geglaubten Materials enthält – in einer 16-mm-Sicherungskopie, die offensichtlich in den 1960er-Jahren von einer 35-mm-Nitrokopie gezogen wurde, die wiederum direkt aus Deutschland aus dem Jahr 1928 stammte.

Wie das Zeit-Magazin vor zwei Jahren exklusiv berichten konnte, deutet alles darauf hin, dass ein gewisser Adolfo Z. Wilson am Anfang dieser außergewöhnlichen Überlieferungskette stand. Er war seinerzeit Chef einer Verleihfirma namens Terra und bestellte für die Auswertung in Argentinien eine ungekürzte Fassung von „Metropolis“. Diese kam auch tatsächlich zum Einsatz und sollte anschließend, wie es damals üblich war, vernichtet werden. Ein Filmkritiker namens Manuel Peña Rodriguez konnte das verhindern, er übernahm die Rollen in seine private Sammlung und verkaufte diese viele Jahre später an den Nationalen Kunstfonds, von dem die Umkopierung auf 16-mm-Material vorgenommen wurde.

1992 kam „Metropolis“ in den Besitz des Museo del Cine in Buenos Aires, wo es fortan in einer Dose lag. Bis Fernando Martín Peña kam. Der Fund erregte vor zwei Jahren großes Aufsehen. Das war noch einmal eine schöne Geschichte vom alten Kino, diesem haptischen Medium, das noch eine echte Überlieferungsgeschichte und nicht einfach eine „browser history“ hat. In Berlin und München saßen die Menschen, die in diesem Fall zu konsultieren waren, denn an der Deutschen Kinemathek hatten sich Experten wie Martin Koerber seit vielen Jahren intensiv mit „Metropolis“ auseinandergesetzt, und an der UdK war in Zusammenarbeit mit dem Münchner Enno Patalas eine kritische DVD-Edition des Klassikers erarbeitet worden.

Deswegen ist es nur logisch, dass das Museum für Film und Fernsehen am Potsdamer Platz nun auch die Ausstellung „The Complete Metropolis“ präsentiert, deren Höhepunkt am 12. Februar im Rahmen der Berlinale die Weltpremiere der neuen „Metropolis“-Fassung der Murnau-Stiftung sein wird, mit Vorführungen im Friedrichstadtpalast und in der Alten Oper in Frankfurt am Main, und mit Direktübertragung an das Brandenburger Tor. Im April wird es dann auch noch ein großes Symposium in Zusammenarbeit mit der Einstein-Stiftung geben.

Ohne die Dose hätte es das alles nicht gegeben, sie bildet den wichtigsten Dominostein. Angesichts der groß angelegten Festlichkeiten wirkt die Ausstellung „The Complete Metropolis“ im Filmhaus beinahe mickrig. Das liegt natürlich zuerst einmal am Charakter der Räume des Filmhauses, das gut geeignet ist für eine Bibliothek wie im fünften Stock, nicht so sehr aber für die Inszenierung des Kinos als Objekt- und Raumkunst. 196 Exponate dokumentieren die Entstehungsgeschichte von „Metropolis“, zum größten Teil stammen sie aus den Beständen der Deutschen Kinemathek. Sie erschließen sehr schön die emsige Arbeitsteiligkeit, auf der ein Filmprojekt wie „Metropolis“ beruht. So kann man beim Spaziergang durch die Schau „The Complete Metropolis“ noch einmal Revue passieren lassen, was den Mythos des Weimarer Kinos ausmacht: Handwerk gepaart mit Vision, technokratische Kompetenz und künstlerische Opulenz.

Die Ausstellung widmet sich nicht in erster Linie den Veränderungen unseres „Metropolis“-Bildes, das durch die wieder aufgefundenen Szenen zu erwarten ist. Sie offeriert eine Passage durch einen Film, der in vielen Jahren der Wiedererschließung und Überarbeitung (Giorgio Moroders Synthesizerversion) manchmal fast schon zum Zitatenkästchen heruntergekommen zu sein schien – und dabei doch immer auf dem filmhistorischen Podest thronte. Ein Zitat des Szenenbildners Erich Kettelhut dokumentiert sehr schön das Verhältnis zwischen Aufwand und Ertrag, das bei dieser Form des Filmemachens herrscht: „Leider waren die wirklich fantasievollen Kostüme der jungen Damen bei den knappen Bildausschnitten nur kurz zu sehen.“

Es gibt Regisseure, die legen beim Drehen Wert darauf, dass die Schubladen, in denen wir Juwelen vermuten sollen, auch tatsächlich mit Juwelen gefüllt sind, obwohl kein Zuschauer das jemals wird sehen können. Von diesen Paradoxien einer Ontologie des Kinos leben Ausstellungen zu Filmen. „The Complete Metropolis“ findet in der leeren Dose ein perfektes Symbol ihrer selbst und errichtet mit der entsprechenden Vitrine eine Pilgerstätte inmitten eines Devotionalienparcours. Was mit dem 16-mm-Material seither passiert ist, ist erst im Februar zu sehen.

■ „The Complete Metropolis“: bis 25. April, Museum für Film und Fernsehen, Potsdamer Straße 2, Berlin