Beginn des Prozesses wackelt

JUSTIZ Türkische Medien müssen Zugang zum NSU-Prozess bekommen. Das haben die Richter in Karlsruhe entschieden. Eine ganz neue Vergabe der Presseplätze ist möglich

Im Prozess mit muslimischen Nebenklägern soll kein Kruzifix an der Wand hängen

VON CHRISTIAN RATH

FREIBURG taz | Kann der NSU-Prozess wie geplant am Mittwoch beginnen? Das ist unsicher, nachdem das Bundesverfassungsgericht auch türkische Medien zum Prozess zugelassen hat. Das Münchener Oberlandesgericht (OLG) könnte nun das gesamte Akkreditierungsverfahren für die Presse neu aufrollen.

Eigentlich sollte der Prozess gegen die mutmaßliche NSU-Terroristin Beate Zschäpe Mittwoch starten. Auf Antrag der türkischen Zeitung Sabah erließ Karlsruhe am Freitagabend aber eine einstweilige Anordnung, nach der auch türkische Medien feste Plätze im Gerichtssaal bekommen.

Bisher hatte das OLG kein einziges türkischsprachiges Medium zur Berichterstattung zugelassen, obwohl die meisten NSU-Opfer türkischsstämmige Kleingewerbler waren. Begründung: Die Vergabe der 50 Journalisten-Plätze sei nach Reihenfolge der Antragstellung erfolgt. Dagegen hatte Sabah Verfassungsbeschwerde erhoben und auf Unregelmäßigkeiten hingewiesen. So hatten einige Medien von der Pressesprecherin des OLGs Tipps bekommen, wann das Vergabeverfahren beginnt.

Das Bundesverfassungsgericht hat die Klage von Sabah zwar noch nicht entschieden, weil die Rechtsfragen zu kompliziert seien. Zur Vermeidung von Nachteilen erlegte Karlsruhe aber dem OLG die Pflicht auf, sofort „eine angemessene Zahl von Sitzplätzen an Vertreter von ausländischen Medien mit besonderem Bezug zu den Opfern der angeklagten Straftaten zu vergeben“. Angemessen sei etwa „ein Zusatzkontingent von nicht weniger als drei Plätzen“. Diese Plätze könnten dann nach Reihenfolge der Anmeldung oder nach Los vergeben werden.

Dabei kann das OLG wohl entweder auf die bisherigen neun Anmeldungen von türkischen Medien zurückgreifen oder ein neues Verfahren starten. Die Entscheidung überließ Karlsruhe dem Vorsitzenden OLG-Richter Manfred Götzl. Er könne auch, so Karlsruhe, die Sitzplatzvergabe an Journalisten noch einmal ganz neu aufrollen. Dann wäre ein Prozessbeginn am 17. April kaum möglich. Es ist denkbar, dass das OLG mit Blick auf die bekannt gewordenen Unregelmäßigkeiten diesen Weg geht, um weitere Risiken für den Prozess zu vermeiden. (Az.: 1 BvR 990/13)

Weitblick scheint das OLG immerhin in einer anderen Frage bewiesen zu haben. In dem Prozess mit Dutzenden von muslimischen Nebenklägern soll kein Kruzifix an der Wand hängen, berichtet die Bams. Julia Klöckner, die stellvertretende CDU-Vorsitzende, kritisierte den „vorauseilenden Gehorsam“. Es hätte genügt, auf Anträge zu warten. Das Bundesverfassungsgericht hatte schon 1973 entschieden, dass niemand zu Gerichtsverhandlungen unter einem Kruzifix gezwungen werden kann.