: „Es überwiegen Abwehr und Abschreckung “
Das Zuwanderungsgesetz, ein politischer Konsens auf kleinstem Nenner, hinkt selbst der EU-Entwicklung hinterher, meint Migrationsexperte Steffen Angenendt. Es muss in Teilen ganz neu geschrieben werden. Auch bei der Integrationspolitik gibt es Nachbesserungsbedarf
taz: Herr Angenendt, Innenminister Schily wollte das am 1. 1. 2005 in Kraft getretene Zuwanderungsgesetz zum modernsten Europas machen. Wie sieht Ihre Bilanz heute aus?
Steffen Angenendt: Einerseits war das Gesetz ein wichtiger Schritt: Zum ersten Mal werden Zuwanderung und Integration in einem Gesetz geregelt, die Rechtsstellung verschiedener Zuwanderer wurde verbessert und es wurden Rechte und Pflichten in Bezug auf Integration festgelegt. Andererseits wurde nach dem langem politischen Hin und Her nur ein Kompromiss auf kleinstem gemeinsamem Nenner gefunden. Insgesamt überwiegen immer noch Abwehr und Abschreckung, und die Umsetzung ist technokratisch.
Als das Gesetz 2001 erarbeitet wurde, war die wirtschaftliche Rezession erst in Ansätzen spürbar. Hat die Offenheit gegenüber Zuwanderung mit dem Ende des wirtschaftlichen Booms abgenommen?
Ja, ganz sicher, vor allem im Zuge der wachsenden Arbeitslosigkeit im Land.
Nun hinkt das Gesetz selbst der Entwicklung auf europäischer Ebene hinterher …
Wir haben eine sehr dynamische EU-Migrationspolitik. Es liegen noch mindestens zehn EU-Richtlinien in der Schublade, die in den nächsten beiden Jahren in nationales, also auch in deutsches Recht umgesetzt werden müssen. Das erst ein Jahr alte Zuwanderungsgesetz muss zur Umsetzung dieses unmittelbar geltenden europäischen Rechts in Teilen ganz neu geschrieben werden.
Was ist die Bilanz bei der Zuwanderungssteuerung und der Integrationsförderung?
Für eine abschließende Beurteilung der Steuerungserfolge ist es noch zu früh. Aber im Grunde ist bei der Arbeitsmigration fast alles beim Alten geblieben. Es wurden nur wenige neue Steuerungsinstrumente eingeführt. Stattdessen wurden der Anwerbestopp von 1973 und das System der Ausnahmen davon beibehalten. Kaum jemand weiß, dass mit diesem technokratischen Mittel jährlich befristet mehrere hunderttausend gering qualifizierte Arbeitskräfte angeworben werden. Es ist das alte Instrumentarium, mit dem Deutschland nun unter völlig veränderten Rahmenbedingungen Zuwanderung steuern will.
Wo bleiben die hoch qualifizierten Zuwanderer?
Für hoch Qualifizierte sollte eine Regelung gefunden werden, die an die Greencard-Regelung anknüpft. Fakt ist: mit der neuen Regelung für hoch Qualifizierte sind deutlich weniger gekommen als mit der Greencard. Damals waren es etwa 2.200 Menschen pro Jahr, in diesem Jahr waren es wahrscheinlich nur etwa 900.
Die Integrationspolitik ist stark auf Sprachkurse gerichtet. Gibt es Integrationsmaßnahmen über die Sprachkurse hinaus?
Das ist tatsächlich dringend notwendig. Integration bedeutet Zugang zu Beschäftigung, und wir können nicht davon ausgehen, dass die Teilnehmer der Sprachkurse einen Job finden, nur weil sich ihre Sprachkenntnisse verbessert haben. Die Sprachkurse sind dringend notwendig, müssen aber unbedingt ergänzt werden durch Unterstützung bei der Eingliederung in den Arbeitsmarkt. Integration beginnt immer mit einem Arbeitsplatz. Und genau da fehlen bislang noch Konzepte, Ideen und Programme.
Wie arbeiten die verschiedenen Akteure, also Bund, Länder, Kommunen und Verbände zusammen?
Es gibt auf allen Ebenen horizontale und vertikale Abstimmungsprobleme. Die Integrationspolitik findet trotz aller Bemühungen immer noch weitgehend unkoordiniert statt, was bei der Vielfalt von Akteuren auch kein Wunder ist. Auch hier müssen dringend Konzepte erarbeitet werden, um Synergien nutzen zu können, um Geld zu sparen und um zu besseren Ergebnissen zu kommen.
INTERVIEW: EDITH KRESTA