Deutschland, nein danke

Deutschland macht ein Zuwanderungsgesetz – und niemand kommt. Diese Jahresbilanz erschreckt selbst Union und SPD

VON LUKAS WALLRAFF

Es ist gerade mal ein Jahr alt. Aber das erste deutsche Zuwanderungsgesetz hat sich schon jetzt als grandioser Erfolg erwiesen – für die USA, Großbritannien und alle anderen Länder, die weltweit nach Spitzenkräften suchen. Im Wettbewerb um die besten Köpfe sind sie einen Konkurrenten los, Deutschland ist so gut wie ausgeschieden. Ganze 900 Fachleute verirrten sich in diesem Jahr noch hierher – ein bemerkenswerter Rückgang. Bevor das neue Zuwanderungsgesetz in Kraft trat, waren jährlich immerhin 2.200 ausländische Experten mit einer Greencard ins Land gekommen.

Entsprechend kleinlaut reagieren die Politiker, die das Gesetz einst fabriziert und als großen Fortschritt verkauft hatten. Im klein gedruckten Teil des Koalitionsvertrags heißt es nur, man wolle die Wirkung des Gesetzes „evaluieren“. Herausreden können sich weder Union noch SPD – bei der Zuwanderung gab es schon 2004 eine Koalition der Großen, bei der die Grünen zwar auch dabei waren, in der sie aber wenig zu sagen hatten. Ihr Verhandlungsführer Volker Beck verabschiedete sich damals mit dem Fazit, Fortschritte im Bereich der Arbeitsmigration seien nur noch „mit der Lupe“ zu erkennen. Inzwischen bräuchte man dazu ein Mikroskop.

900 hoch qualifizierte Neuzugänge in einem 82-Millionen-Land – das sei „nicht besonders eindrucksvoll“, räumt der innenpolitische Sprecher der Union, Hans-Peter Uhl, ein. „Das ist so nicht gewollt gewesen“, sagt sein Kollege Dieter Wiefelspütz von der SPD. Zwischen Anspruch und Wirklichkeit liegen Welten.

„Mit diesem Gesetz“, hatte der damalige Innenminister Otto Schily nach der Einigung verkündet, „haben wir das modernste Zuwanderungsrecht Europas“. Nun ja. Schily hatte alles getan, um die Zielvorgabe seines bayerischen Kollegen Günther Beckstein zu erfüllen, wonach das Land weniger Ausländer brauche, „die uns ausnutzen“, und mehr Ausländer, „die uns nützen“. Am Ende stand ganz offiziell ein „Gesetz zur Steuerung und Begrenzung“, dessen Zweck Schily so beschrieb: Man habe „die Möglichkeit geschaffen, die Zuwanderung zu steuern und Menschen aufzunehmen, deren Tätigkeit den Interessen unseres Landes dient“. Union und SPD verstiegen sich in die Idee, man könne bei der Aufnahme von Neueinwanderern zielgenau nur die Besten der Welt herauspicken.

Eine Illusion, wie sich jetzt herausstellt. „Das Grundproblem ist und bleibt: Deutschland gilt im internationalen Maßstab nicht als attraktiv“, sagt Gert Wagner, Professor für Volkswirtschaft in Berlin und ehemaliges Mitglied im Zuwanderungsrat der Regierung. Dieses Gremium, das die Migrationsentwicklung langfristig beobachten und das Gesetz bewerten sollte, wurde von Schily vorsichtshalber aufgelöst. Es war ihm zu kritisch. Analysen, wie sie Wagner vornimmt, wollten auch die anderen Sozialdemokraten und die Union lieber nicht mehr hören.

Für die mangelnde Attraktivität Deutschlands, sagt Wagner, gibt es viele Gründe. Vom Jobangebot und der vergleichsweise geringen Bezahlung bis zur simplen Tatsache, dass hier nicht Englisch oder Französisch gesprochen wird. Und die Art und Weise, wie das Gesetz zustande kam, sei „kein Signal gewesen, dass Zuwanderung erwünscht ist“. Der Grundtenor der Debatte sei von Abwehrhaltung geprägt gewesen. „Das wurde im Ausland natürlich registriert.“ Dazu komme, dass die offensive Deutschland-Werbung, die es zu Greencard-Zeiten gab, eingestellt wurde.

Da helfen offenkundig auch ein paar Liberalisierungen im Gesetzestext nur wenig. Es sei richtig, dass die erleichterten Aufnahmeregeln für IT-Spezialisten auf Spitzenkräfte aller Art erweitert wurden, so Wagner. Was aber nach wie vor fehle, sei ein attraktives Angebot für die Familien möglicher Interessenten: „Nötig wäre beispielsweise eine automatische Arbeitserlaubnis auch für Ehegatten.“

Die Regierungsparteien geben sich nun lernfähig. Angesichts der Zahlen versprechen sie, nach der „Evaluierung“ des Gesetzes Korrekturen vorzunehmen, um Spitzenleute anzulocken. „Auch an dieser Stelle waren wir wohl übervorsichtig“, erklärt SPD-Experte Wiefelspütz, um im nächsten Satz gleich zu betonen, dass die Großzügigkeit auch in Zukunft enge Grenzen hat: Für normal und gering qualifizierte Ausländer gebe es weiter „keinen Bedarf“.

CSU-Mann Uhl bedauert, dass der Traum seines Parteifreunds Beckstein ein Traum geblieben sei: „Es kommen weiter massenhaft die Falschen, und nicht die, die wir brauchen.“ Wenn es an ausländerrechtlichen Hürden liegen sollte, dass die Richtigen ausbleiben, „wäre ich der Erste, der dafür ist, sie zu senken“.

Nun wäre es natürlich ungerecht, das Zuwanderungsgesetz nur an der Zahl der neuen Spitzencracks zu messen. Schließlich sollte es noch ganz andere Erfolge bringen – bei der Integration und im Flüchtlingsrecht. Doch leider lässt die Bilanz auch in diesen Bereichen niemanden jubeln.

„Fast schon tragisch“ nennt es der CDU-Fraktionsvize Wolfgang Bosbach, dass selbst diejenigen, die sich aktiv um Integration bemühen, „offenbar nicht ausreichend gefördert werden können.“ Mehr Geld für Sprachkurse? Vom Bund kaum zu erwarten: „Haushaltswirksame Maßnahmen“ seien momentan „leider nicht durchsetzbar“, sagt Wiefelspütz.

Nicht durchsetzbar ist bisher auch der kleinste gemeinsame Nenner im Flüchtlingsrecht, auf den sich die Parteien geeinigt zu haben schienen. Die unrühmliche Praxis der Kettenduldungen sollte abgeschafft werden, versprachen zumindest SPD und Grüne. Von wegen. Dieses Ziel habe man „leider nicht erreicht“, sagt Wiefelspütz heute. Nach wie vor leben rund 200.000 Menschen in Deutschland, die aus verschiedensten Gründen nicht abgeschoben werden können, aber auch kein Recht auf Daueraufenthalt oder Arbeit erhalten.

Gerade hat die Innenministerkonferenz eine Bleiberechtsregelung erneut verschoben. Auch die Härtefallkommissionen, die in einigen Ländern eingerichtet wurden, geben den „Geduldeten“ wenig Aussicht auf eine Zukunftsperspektive. In Hessen wurde so ein einziger Fall gelöst, in Nordrhein-Westfalen immerhin knapp 100 – von 60.000.