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Archiv-Artikel

Die vergessenen Dörfer schließen sich zusammen

DIE INI (XXII) Lübecks Randgemeinden fühlen sich von der Stadt im Stich gelassen – und organisieren sich

Die Norddeutschen engagieren sich in Bürgerinitiativen gegen Verkehrsprojekte, für Tiere oder gegen Datenmissbrauch – mal laut und knallig, mal leise und beharrlich. Diese Serie stellt in loser Folge die Menschen hinter den Initiativen vor.

Im Süden Lübecks gibt es 14 Dörfer, die in den vergangenen 50 Jahren eingemeindet wurden. Und kaum wurden sie ein Teil Lübecks, wurden sie einfach vergessen, glauben die Dorfbewohner heute. Sie fühlen sich von der Stadtverwaltung im Stich gelassen. Niemand informiere sie über die Belange, die sie direkt betreffen. Das wollte Detlev Stolzenberg nicht mehr hinnehmen und gründete die „Initiative für Lübecks ländlichen Raum“.

Den Anstoß dafür gab die Sperrung der Trave-Brücke vor zwei Monaten. Die Brücke verbindet den kleinen Ort Reecke mit den Nachbarorten und sie ist der schnellste Weg nach Lübeck. Die Reecker sind auf diese Brücke angewiesen, da es in Reecke selbst kaum Geschäfte und keine Schule gibt. Die gesperrte Brücke bedeutet für die Reecker einen Umweg von zehn Kilometern. Die Brücke sei baufällig, sagte die Stadtverwaltung, da kein Geld für die Sanierung übrig ist, sollte sie ersatzlos abgerissen werden. Die Reecker protestierten, die Stadtverwaltung habe die Sanierung jahrelang hinausgezögert.

Stolzenberg wohnt seit eineinhalb Jahren mit seiner Frau und seinem sechsjährigen Sohn in Kronsforde, einem Nachbarort von Reecke. „Wir wollten mit unseren Pferden auf einem Grundstück leben“, sagt der Architekt. Er selbst sei von der Sperrung nicht betroffen, aber das Brückenproblem habe ihm gezeigt, dass es Bedarf nach Austausch gibt. Also griff er zum Telefon. „Ich wusste nicht, wie unsere Nachbarn auf so einen Aufruf reagieren werden“, sagt er. Zum ersten Treffen der Initiative kamen 40 Bewohner aus der Umgebung, beim zweiten Treffen waren es schon 70.

Stolzenberg will mit seiner Initiative die Kommunikation zwischen den ländlichen Regionen und der Stadtverwaltung verbessern und gleichzeitig eine Plattform für die Dorfbewohner bieten, um sich auszutauschen. Und es funktioniert: Es finden sich Einkaufs-Kollektive für Ältere und Menschen ohne Auto, Heizöllieferungen werden gemeinsam bestellt, um Kosten zu sparen.

Stolzenberg hat aber auch ein konkretes politisches Ziel, er will Ortsbeiräte nach dem Kieler Vorbild schaffen. Dort ermöglichen diese Ortsbeiräte den Stadtteilen, autark zu sein, aber gleichzeitig direkt an der Politik der Landeshauptstadt mitzuwirken. Erste Erfolge gibt es auch in Reecke und Umgebung schon. Die Stadt Lübeck plant beispielsweise verkehrsberuhigende Maßnahmen an der A 1 – und auf Anfrage der Initiative konnten die Dorfbewohner die Pläne bereits vor Baubeginn einsehen. „Hier haben wir ein erstes Ziel erreicht“, sagt Stolzenberg.

Früher habe er sich nicht wirklich für Politik interessiert, erst seit er in Kronsforde wohnt und von den Problemen der Dorfbewohner selbst betroffen ist, nimmt er sich nach 20 Berufsjahren die Zeit. Er suchte sich eine Partei, die seinem Interesse nach mehr Transparenz entspricht – und kam so zu den Piraten. Für die setzt er sich nun auf kommunaler Ebene für die Ortsbeiräte ein. „Aber die Initiative bleibt parteiübergreifend“, sagt Stolzenberg.  AMINA ARABI