Das Kopyshop Kapitel 25: Nacht über Neukölln

Was bisher geschah: Jenny zeigt den Blipiden den Weg zu den Marshmallows

„Diese unscheinbare Baracke sind die Vereinigten Rixdorfer Süßwarenfabriken. Sie versorgen halb Europa mit Marshmallows, Sauren Würmchen und Doppelhelix-Lakritz“

Das Raumschiff schwebte über dem Neuköllner Schifffahrtskanal. Am Ufer stand ein hell erleuchteter Flachbau.

„Das hier soll es sein?“, fragte Professor Median. „Diese unscheinbare Baracke?“

„Diese unscheinbare Baracke, wie du es nennst, sind die Vereinigten Rixdorfer Süßwarenfabriken. Sie versorgen halb Europa mit Marshmallows, Sauren Würmchen und Doppelhelix-Lakritz.“

Lautlos senkte sich das Raumschiff über das Flachdach. C2H5OH ließ den kleinen Kampfroboter Major Canis an einem Draht herunter und versetzte ihn in gleichmäßig kreisende Bewegungen. Der Bot knipste seine Laseraugen ein und schnitt auf einer Kreisbahn in das Metalldach hinein. Nach mehreren Runden positionierte ihn C2H5OH über der Mitte des Kreises. Aus seinen Pfoten fuhr Major Canis vier Saugnäpfe aus und dockte am Dach an. Das Raumschiff zog ihn nach oben und die runde Scheibe löste sich aus dem Dach und wurde neben dem Loch abgelegt.

„Jetzt den Rüssel“, kommandierte Professor Median. Er lag auf dem Bauch und starrte durch das kreisrunde Loch in die Lagerhalle der Süßwarenfabrik hinein. Neben ihm stand Jenny und sah nach oben zum Raumschiff. Auf der anderen Seite des Lochs schob sich Professor Median immer weiter nach vorne. „Ich will auch was sehen. Wo sind denn die ganzen Maaaaarsh …!“, schrie er und plumpste in die Lagerhalle.

„Diese Geisteswissenschaftler haben eine Vorliebe für melodramatische Auftritte. Wenn er jetzt hinüber ist, fällt ein Nachruf schwer. Niemand weiß, was er eigentlich gemacht hat.“

„Es geht mir gut“, brüllte Professor Phäno von unten. „Ich bin weich gelandet. Es ist atemberaubend hier.“

„Rüssel!“, kommandierte Professor Median noch einmal.

Ein dicker Schlauch schob sich aus dem Raumschiff nach unten in die Lagerhalle. „He, Moment mal“, rief Professor Phäno. Der Saugrüssel machte ein schlürfendes Geräusch.

Im Raumschiff navigierte der Erste Maat den Saugrüssel mit Hilfe einer Minikamera durch die Lagerhalle. Warum durfte er nicht mit Jenny auf dem Dach stehen? Professor Median beleidigte sie wahrscheinlich pausenlos. Währenddessen stülpte sich aus dem Dach des Raumschiffs ein Vorratsballon aus gazeähnlichem Material aus. Im Mondlicht erkannte Jenny darin die Silhouette von Professor Phäno. „Ich bin hier“, rief er. „Es geht mir gut.“ Der Ballon füllte sich mit Marshmallows und die Stimme wurde immer leiser.

„Und mit diesem Ballon wollt ihr bis zurück nach Blip?“, fragte Jenny.

„Wir werden langsam fliegen. FP Chi ist ein ausgezeichneter Kapitän“, sagte Professor Median, während über ihnen der Vorratsballon immer mehr anschwoll.

„Wofür steht eigentlich FP?“, fragte Jenny.

„Eigentlich ja GFP Chi“, sagte Professor Median. „Gelernte Führungspersönlichkeit Chi. Früher, in der Dunklen Zeit, glaubten wir noch an Natürliche Führungspersönlichkeiten. Aber die haben wir eingefangen und auf dem Strafplaneten Mehdorn ausgesetzt. Seitdem leben wir viel entspannter.“

Schließlich rülpste der Saugrüssel leise und verschwand im Raumschiff, das lautlos auf dem Dach der Lagerhalle aufsetzte. In der Luke versammelten sich FP Chi, Major Canis, C2H5OH und Professor Phäno, der sich ein Marshmallow aus der Nase zog.

„Liebe Jenny, freundliche Helotin“, sagte FP Chi. „Die Stunde des Abschieds ist gekommen. Wir sind glücklich und dankbar, dass du uns zu den Marshmallowvorräten deiner Zivilisation oder sagen wir besser deiner Entwicklungsstufe geführt hast. Sollten wir R-D jemals unterjochen, werden wir dich und deine Familie nur zu leichten Arbeiten heranziehen.“ FP Chi verbeugte sich vor Jenny und schlug sich die Faust gegen die Stirn.

C2H5OH überreichte Jenny einen Zettel. „Der Blasierte Bordcomputer hat dir den Weg ausgedruckt, wie du vom Dach runterkommst. Du musst diesen schmalen Grat aus blankpoliertem, spiegelglattem Metall entlang und dann eine 16 Meter hohe Leiter hinunter. An den Dobermännern vorbei und über ein vier Meter hohes Tor klettern. Ganz einfach.“

„Vielen Dank“, sagte Jenny. Sie umarmte C2H5OH und knabberte an seinem Ohr, obwohl sie wusste, dass es synthetisch war.

„War uns ein Fest bei euch“, sagten die beiden Professoren und verbeugten sich. „Ethnologisch und empirisch.“ Die Luke schloss sich.

„Kommt gut nach Hause“, murmelte Jenny. Sie setzte sich aufs Dach und sah zu, wie der riesige Ballon zu einem winzigen Punkt im Himmelszelt wurde und schließlich verschwand. Dann studierte sie die Wegbeschreibung.