Sparen ist nicht genug

taz-Serie: Gute Vorsätze (4). Heute: Wie Henning Scherf in Bremen ein Finanz-Desaster hinterließ – und sein Nachfolger Jens Böhrnsen nach einer sozialdemokratischen Handschrift sucht

von Klaus Wolschner

Einen „Ruck“ müsse es geben in der Bremer Großen Koalition, sonst habe sie sich überlebt, meinte vor fast einem Jahr der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Jens Böhrnsen (56). Das zielte auf den Bremer Bürgermeister Henning Scherf, der seinen angekündigten Rückzug aus der aktiven Politik schon zweimal verschoben hatte. Die Attacke aus den eigenen Reihen hielt Scherf aus, im September erst kündigte der 67-Jährige seinen Rücktritt an. Böhrnsen wurde Nachfolger.

Seitdem suchen die politischen Beobachter in jeder Wendung nach Anzeichen jenes Ruckes, doch der gelernte Verwaltungsrichter Böhrnsen ist noch vorsichtiger geworden mit großen Vokabeln. Kurz nach seiner Wahl zum neuen Bürgermeister musste die Bremer Gesundheitsbehörde über die umstrittenen Affen-Experimente der Hirnforscher an der Bremer Universität entscheiden. Böhrnsen hatte im Vorfeld erklärt, dass er gegen diese Tierversuche ist. Verhindern konnte er sie aber nicht. Was sagt der Regierungschef zu der ersten Demonstration seiner begrenzten Macht? „Aus einer ethischen Grundhaltung“ heraus, sagt er, würde er es vorzuziehen, wenn die Bremer Universität sich „mit anderen Forschungen profilieren würde“.

Politische Tanker sind schwer zu bewegen, oder, in den Worten Böhrnsens: „Der Anteil der Ehre am bremischen Bürgermeisteramt war zu früheren Zeiten sicherlich größer als in diesen.“ Scherf hatte sich in das Jahr 2005 hineingemogelt mit der Illusion, der Bundeskanzler würde sich aufgrund eines netten Briefes aus dem Sommer 2000 verpflichtet sehen, Bremen dauerhaft mit jährlich 500 Millionen Euro über Wasser zu halten. Das ist der einzige wesentliche Punkt, in dem Böhrnsen sich von seinem populären Amtsvorgänger deutlich absetzt: „Wir haben den Fehler gemacht, einen Kanzlerbrief für eine Zukunftssicherung Bremens zu nehmen.“

Böhrnsen hat die Investitionsausgaben Bremens moderat zurückgefahren, sie liegen aber immer noch deutlich über den vergleichbaren Ausgaben der anderen Stadtstaaten. „Investieren, wo es um die Zukunft geht“ ist der Versuch, eine vorsichtige Neujustierung zu beginnen. Mit dem Haushaltsplan für die Jahre 2006 und 2007 seien „die richtigen Schwerpunkte gesetzt“, sagt er. Was bedeutet das? Im Bereich Bildung werden die Projekte weiter finanziert, die in der Folge der desaströsen Pisa-Ergebnisse Bremens begonnen wurden. Bremen setzte 2005 auf das Image „Stadt der Wissenschaft“, Bremen macht bei der Bildungspolitik Ausnahmen von Spar-Vorgaben. Für den neuen Bürgermeister ergibt sich daraus eine sozialdemokratische Handschrift. „Wir wissen, dass man mit Sparen allein diesem Bundesland keine Zukunft geben kann.“

Die nähere Zukunft beginnt für Böhrnsen schon im Jahre 2007. Da muss er seinen ersten Wahlkampf als Bürgermeister bestehen. Unter den Sozialdemokraten gibt es viele, die von diesem Datum das Ende der dann zwölf Jahre andauernden Großen Koalition erwarten. Diese quasi oppositionsfreie Regierungsform hatte Scherfs patriarchalen Stil geprägt, Böhrnsen gehörte immer zu denen, die darin nur einen Ausnahmefall der Demokratie sehen konnten. Die CDU, deren Stimmanteil in Bremen bei der Bundestagwahl deutlich unter 30 Prozent lag, beginnt sich in internen Debatten daran zu gewöhnen, dass ihre Regierungsphase – die einzige nach 1945 in Bremen – dann sang- und klaglos zu Ende geht. Die FDP ist in Bremen seit 1995 nur außerparlamentarisch vertreten, Böhrnsen müsste also mit den Grünen koalieren. Traut er sich das zu? Vorsichtshalber hat der zum Fraktionschef nachgerückte Carsten Sieling die Idee einer „Allparteienregierung“ ins Gespräch gebracht.

Denn Bremen ist pleite und die Hilfen des Bundes sind verbraucht, ohne dass Besserung in Sicht wäre. „Bremen wird sein Recht beim Bundesverfassungsgericht suchen“, wie Berlin und das Saarland, sagt Böhrnsen. Bremen muss aber auch verhandeln mit den anderen Bundesländern und dem Bund im Rahmen einer zweiten Stufe der Föderalismusreform. Rundherum im Norden wird von Länderfusionen geredet, nur das wackere Bremen hält nichts davon. „Fünf gleich große Bundesländer, das wäre kein echter Föderalismus, da hätten wir nur fünf Bundeskanzler mehr. Föderalismus ist nur da, wo es ein Nebeneinander von Großen und Kleinen gibt“, sagt Böhrnsen fast trotzig. Die natürlich „aufgabengerecht“ mit Finanzen ausgestattet sein müssten, das Wort habe sogar in der Regierungserklärung gestanden. Wenn das nicht hoffen lässt ...