: Es gibt Krach, Baby!
Finanzen, Umwelt oder Arbeit – in der Landespolitik wird sich 2006 gefetzt: Opposition gegen Regierung, FDP gegen CDU, Minister gegen Minister. Ein Überblick auf das, was uns erwartet
VON ANDREAS WYPUTTA
Finanzen: Money makes the world go round – Nordrhein-Westfalens Finanzminister Helmut Linssen (CDU) hat schon jetzt keines mehr. Über 5,9 Milliarden Euro neue Schulden will der Christdemokrat allein im noch jungen Jahr 2006 machen. Damit verletzt Linssen aber eindeutig die Landesverfassung: Danach darf die Höhe der Neuverschuldung nicht höher sein als die Summe der Investitionen. Die aber liegen nur bei knapp 4,5 Milliarden Euro. Linssens schlichte Ausrede: Eine geringere Neuverschuldung sei „objektiv unmöglich“.
Eine „selbstgerechte Konstruktion“ sei das, hält die Opposition dagegen – und zögert dennoch mit einer Klage. Kein Wunder: Auch Rot-Grün hat die Neuverschuldungs-Grenze mehrfach überschritten. Spätestens im Herbst dürfte der Gang zum Münsteraner Landesverfassungsgericht aber Ehrensache für SPD und Grüne sein. CDU-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers rechnet schon heute damit, erst 2010 einen verfassungsgemäßen Haushalt vorlegen zu können.
Ärger könnte auch von Rüttgers‘ Koalitionspartner FDP kommen: Hatten die Liberalen auf Bundesebene getönt, gegen jeden verfassungswidrigen Haushalt klagen zu wollen, bleiben die nordrhein-westfälischen FDP-Fachpolitiker seit Wochen auffällig still.
Steuern: Die FDP wird hier Profil beweisen wollen. Denn auch bei der von der großen Koalition im Bund beschlossenen Mehrwertsteuererhöhung droht Rüttgers ein veritabler Koalitionskrach. Bei der Abstimmung im Bundesrat müsse sich Nordrhein-Westfalen enthalten, fordern die Liberalen bereits. Der CDU-Ministerpräsident aber dürfte wenig Interesse haben, seiner Parteifreundin und Kanzlerin Angela Merkel in den Rücken zu fallen: Schließlich soll ein Prozent der neunzehnprozentigen Mehrwertsteuer zur Senkung der Lohnnebenkosten verwandt werden. Und „sozial ist, was Arbeit schafft“, so Rüttgers‘ Motto.
Der selbsternannte „Vorsitzende der Arbeiterpartei in Nordrhein-Westfalen“ will deshalb mit seinen Liberalen reden – und bietet als Kompensation eine Bundesrats-Enthaltung bei der Frage des Steuerzuschlags für Spitzenverdiener, der so genannten „Reichensteuer“.
Energie: Viel reden müssen CDU und FDP auch über die Frage der Steinkohlesubventionen. Über 2,2 Milliarden Euro pumpt die Bundesregierung jedes Jahr in die Zechen im Ruhrgebiet, Nordrhein-Westfalen legt noch einmal 670 Millionen Euro jährlich obendrauf. Die FDP will den Komplettausstieg – und beschädigt nicht nur das soziale Image des Ministerpräsidenten, sondern stößt auch auf den erbitterten Widerstand der Sozialdemokraten: Die träumen immer noch vom „Sockelbergbau“, der Steinkohleförderung bis in alle Ewigkeit. Schon heute laufen Gespräche zwischen CDU und SPD auf Bundes- und Landesebene. Mögliche Lösung: Der Bund könnte sich bereit erklären, einen so genannten „Zugang zu Lagerstätten“ weiter offen zu halten – und damit die Bergwerke Ost (Heinrich Robert, Hamm), Nord (Auguste Victoria, Recklinghausen/Marl) und West (Prosper, Bottrop) dauersubventionieren. Das Land aber könnte seine Unterstützung dennoch auf Null fahren. So dürfte die FDP ihr Gesicht wahren, aber Kohlegegner müssten weiterkämpfen – etwa die niederrheinische Bürgerinitiative Bergbaubetroffener. „Der Voodoo-Kult um die Steinkohle geht weiter“, warnt deshalb der Energieexperte der Grünen Reiner Priggen. Er will die Liberalen an ihre „großmäuligen Versprechungen“ erinnern.
Ärger droht auch Anti-Atom-Aktivisten: Nordrhein-Westfalens CDU-Wirtschaftsministerin Christa Thoben denkt wie viele ihrer Parteifreunde über mögliche Laufzeitverlängerungen für deutsche Atommeiler nach. Damit dürften weitere Castoren ins Zwischenlager Ahaus rollen. Selbst ein weiterer Ausbau der Gronauer Urananreicherungsanlage ist denkbar.
Umwelt: Christdemokrat Eckhard Uhlenberg, Nordrhein-Westfalens Minister für Umwelt und Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, sei in Wahrheit nur „Bauernminister“, klagen nicht nur Grüne. Und tatsächlich gibt sich der Landwirt aus Werl alle Mühe, dieses Image zu bestätigen: Im jüngsten „Gammelfleisch“-Skandal lavierte er, ließ sich nicht an den Fleischtheken der Supermärkte, wohl aber in den Kühlhäusern der Agroindustrie sehen. Bei einem Antrittsbesuch im Leverkusener Bayer-Werk kündigte der Umweltminister an, „den Chemiestandort NRW stärken“ zu wollen – schließlich gehe es um Arbeitsplätze. Und selbst giftige Hochofenschlacken mutieren bei Uhlenberg zu „hochwertigen Produkten für die Bauwirtschaft“. Viel Arbeit für Umweltaktivisten also: „In der Umweltpolitik droht der Roll Back“, warnt der NRW-Landesverband des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) schon heute.
Arbeit: Wenig erfreulich auch der Blick auf den Arbeitsmarkt: Zwar hat auch Regierungschef Rüttgers erkannt, dass die Binnennachfrage lahmt, dass die Löhne und Gehälter massiv steigen müssen. Mehr als zahme Appelle an die Wirtschaft dürfte es aus Düsseldorf dennoch nicht geben – an Stellschrauben wie den Lohnnebenkosten dreht nur die Bundespolitik. Und an Beschäftigungsprogramme wird NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, nach eigener Einschätzung ein „konservativer Knochen“, schon aus Rücksicht auf seinen Parteifreund und Kabinettskollegen Helmut Linssen nicht denken. Bleibt Symbolpolitik wie die Ausbildungstour: Schon heute ist klar, dass im Sommer wieder über 100.000 Lehrstellen fehlen werden – wie auch das schlüssige Konzept zur Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit im einstigen Industrieland.