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Archiv-Artikel

Die Quelle aus der Wüste

Gute Kontakte zu Geiselnehmern: Wie die Chrobog-Entführung eine jemenitische Zeitung berühmt machte

Von LÖW
Für Journalisten und Diplomaten wurde die Online-Ausgabe „Daily Chew“ zur täglichen Kaudroge

BERLIN taz/ap ■ Die Regierungen gaben sich gewohnt zugeknöpft. „Positive Richtung“, lavierte der jemenitische Provinzgouverneur. „Bemühungen mit großer Intensität“, druckste das deutsche Auswärtige Amt um Details der Verhandlungen um die Familie Chrobog herum. Bloß vorsichtig sein, bloß keine Information zu viel rausgeben. Da sprudelte plötzlich eine Quelle aus der Wüste übers Internet: der Yemen Observer.

Der Chef der Entführer habe dem Observer mitgeteilt, dass die erste Verhandlungsrunde gescheitert sei, berichtete die Redaktion am Tag eins nach der Entführung. Von da an wurde laufend protokolliert, was die Stämme verlangten, aber auch wie sich die Regierung in Sanaa verhielt. Zwar ist es nichts Besonderes, dass Geiselnehmer mit Reportern sprechen, um den Druck zu erhöhen. Überraschend war aber, wie professionell das Medium aus dem Wüstenland mit seinen mittelalterlichen anmutenden Gesellschaftsstrukturen arbeitete. Auf Englisch, detailliert, sachlich. Deutsche Diplomaten und Journalisten holten sich regelmäßig www.yobserver.com auf den Bildschirm.

Ein Leitartikel des Observer warf den Kidnappern vor, dem innenpolitischen Kampf für Menschenrechte zu schaden. „Wie weich die Matratzen auch sein mögen, wie gut das Essen und wie breit das Lächeln, mit dem es serviert wird – es ist und bleibt Gefangenschaft.“

Der Yemen Observer wurde 1996 gegründet und ist nach eigenen Angaben unabhängig. Gedruckt erscheint er nur samstags, die Online-Ausgabe heißt Daily Chew: das, was täglich durchgekaut wird, denn chew heißt Kautabak. Aber Priem haben die Jemeniten nicht so gern, ihre Kaudroge ist die Betelnuss. „Der Name hat tatsächlich mit der Betelnuss zu tun“, sagt Chefredakteur Mohammed al-Asadi der taz.

Die Betelnuss regt die Nerven an. Folgerichtig hat auch das Auswärtige Amt eher genervt auf die Wasserstandsmeldungen im Daily Chew reagiert. Am Freitag wurde dort gemeldet, die Geiselnehmer hätten in der Nacht mit einer Unterbrechung der Verhandlungen gedroht. Wenn kein Ergebnis erzielt werde, „werden wir unsere Gäste so lange bei uns behalten, wie wir können“, wurden die Entführer zitiert. Doch dann kamen die Chrobogs frei. LÖW