: Heiße Tänze, kalte Pizza
Natalie Tenbergs Gastro-Kritik: Im Ballhaus-Mitte in Berlin schwoft ein heterogenes Publikum in absonderlicher Weise – wirklich amüsant
Es gibt Orte in Berlin, an denen sind die verschiedenen Phasen der Stadt ablesbar wie Jahresringe an einem Baum. Ein solcher Ort ist das Ballhaus-Mitte an der Auguststraße in Berlin-Mitte. Nach der Wende stand es im Ruf, prollig zu sein – damals hieß es noch Clärchens Ballhaus. Nun wurde es von neuen Betreibern übernommen und löst sich vom alten Image: Ein Ort für alle soll es sein – alte und neue Mitte vereint – und darüber hinaus noch die beste Pizza der Stadt machen.
Hinter der dunklen Fassade des Gebäudes, das verwegen von der Straße abgerückt steht, leuchtet der große Ballsaal. Das Licht reflektiert von der Disko-Kugel. Lametta bedeckt die Wände – zu viel Lametta für den kontemporären Geschmack – ganz bestimmt alte Mitte. Am DJ-Pult steht DJane Clärchen – neue Mitte – und legt auf.
Eine Busladung italienischer Touristen drängt in den Raum. Das Herz des Raums ist die große Tanzfläche. Um sie herum stehen weiß gedeckte Tische, an denen man gemütlich sitzen kann, während man den Paaren beim Schwof zusieht. Das erste Paar betritt die Tanzfläche: Er im Freizeitlook, sie im Jogginganzug – alte Mitte. Irgendwer singt irgendetwas von einem fünften Mambo. Die bestellte Pizza lässt auf sich warten – neue Mitte.
Die Pizza ist zwar recht günstig, ein Wagenrad ab 5,50 Euro, aber klebt viel zu matschig am Teller fest. Der gemischte Salat ist groß und langweilig, viel zu kalte Eisbergsalatblätter ohne Geschmack, das Dressing ohne jegliches Gewürz. Das Gulasch mit Sauerkraut, ein Tagesgericht, schmeckt zwar wunderbar hausgemacht, ist aber leider kalt.
Schade. Den Kummer über das mittelmäßige Essen kann man in einem Futschi ertränken, Cola mit Weinbrand und ganz bestimmt alte Mitte – während ein Lied von einem unglücklichen Mann gespielt wird, der sein Herz an eine gewisse Frau Macarena verloren hat.
Die vielen Gäste, denn das Ballhaus ist voll bis auf den letzten Platz, tanzen dazu in absonderlicher Weise. Neben der italienischen Eleganz stehen junge Menschen in verwaschenen T-Shirts. Eine Band tritt auf.
Kein Schwein ruft an, kokettiert die Sängerin, und plötzlich wird uns bewusst, warum dieses Ballhaus so verdammt vertraut wirkt: Es erinnert an den Anfang von „Der bewegte Mann“!
Trotz der Unterschiede im Publikum bestehen keine Spannungen. Jeder darf hier sein, wie er mag, das ist der unausgesprochene Konsens. Aus einem Nebeneinander wird ein Miteinander. Kurz vor Mitternacht ist die Tanzfläche voll, und es werden Swing-Klassiker gespielt. Mag das Ballhaus-Mitte auch nicht die beste Pizza der Stadt hergeben, einen wirklich amüsanten Abend allemal.
BALLHAUS-MITTE, Auguststr. 24, 10117 Berlin-Mitte, tägl. ab 12 Uhr, S-Bahn-Station Oranienburger Tor, Pizza ab 5 €, kl. Bier 2,60 €, freitags & samstags Schwof, dienstags Tango, mittwochs Swing