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Archiv-Artikel

WAHRE SCHREIBTISCHE. HEUTE: MICHAEL RINGEL – ODER DER GROSSE IMPERATOR UND DIE DREIFALTIGKEIT DES DEUTSCHEN B-JOURNALISMUS

Jeder Koch hat seine Mise en place, seine eigene Art, in der Küche den persönlichen Arbeitsplatz einzurichten mit Gewürzen und Kochgeräten und allerlei Dingen, die zum Gelingen eines Gerichts notwendig sind. Auch Autoren und Schriftsteller inszenieren ihre Schreibtische nach sehr eigenen Vorstellungen. Die Wahrheit hat sich an den Arbeitsplätzen ihrer Köche umgesehen.

Dies ist eine Weltpremiere: Bislang war es unter Androhung standrechtlicher Sanktionen streng verboten, den etwas versteckten Arbeitsplatz im vierten Stock der Berliner Kochstraße zu fotografieren. Hier ist er nun, der Ort, an dem jeden Tag eine neue Wahrheit entsteht. Kurz: Das weltberühmte und gefürchtete „Zentrum der Macht“! Die Dreifaltigkeit des deutschen Journalismus (1) – Bild, Bravo, Bunte – ist selbstverständlich Pflichtlektüre für den Wahrheit-Redakteur Michael Ringel. Erst nach der Feindbeobachtung ruft er Autoren an und ordert frische Texte. Die Anzahl der Autoren wird lediglich durch die Zahl der Direktwahltasten am Telefon (2) begrenzt.

Mit Texten ist es wie mit guten Weinen: Bei sachgemäßer Lagerung werden sie mit der Zeit immer besser. Deshalb gibt es hier (3) nicht nur ein Fach mit der Beschriftung „Ärger“, sondern auch ein Fach „Nein“, in dem so manch unverlangt eingesandtes Manuskript liegt und untertänigst darauf wartet, die erneute kritische Prüfung des Imperators zu bestehen und doch noch gedruckt zu werden. Aber erst, wenn ein Manuskript den begehrten Wahrheit-Stempel (4) erhalten hat, wird es zur Produktion an den Arbeitsplatz der Ordonanz (5) weitergereicht – über das aus stabilem Eisen geschweißte, tonnenschwere Steinsignet des Wahrheit-Klubs (6) hinweg, das Herr Ringel wegen des hohen Wiedererkennungswerts zu jeder Buchmesse von willigen Sklaven mitschleppen lässt. Denn im stets griffbereiten Handbuch für Diktatoren (7) steht ganz genau, wie aus kleinen Imperatoren große werden.

So liebt er seine Autoren: Leicht unterwürfig und stets ein wenig paralysiert. Wer dennoch krampfhaft dumme Witze reißt, zahlt fünf Euro in die Kalauerkasse (8), deren Verwendung selbstverständlich allein dem Imperator obliegt. Der Ventilator (9) quirlt die Luft bei jedem Klima, und die Nachschlagewerke vom Oeckl bis zum Duden (10) werden zwar nicht wirklich gebraucht, sehen aber gut aus und beeindrucken jeden Besucher. Der Schreckschussrevolver Marke „Peacemaker“ und die Akku-Kreissäge (11) kommen bei lautstarken Autoren und Kollegen wirksam zum Einsatz, allein das Bärchen (12) schaut friedlich verdutzt. Nur der unergonomisch aufgestellte Computer (13) ist heute etwas redundant: Er zeigt ein Foto für die aktuelle Produktion. DIETER GRÖNLING