: Ich war trotzdem dort
Für manche Touristen sind Reisewarnungen kein Anlass, eine Tour nicht anzutreten. Ganz im Gegenteil: Die drohende Gefahr und die coolen Extremerlebnisse sind der eigentliche Reisegrund
VON KERSTIN SPECKNER
„Das Green ist eher ein Brown, und man braucht einen zweiten Caddie, der vorangeht und aufpasst, dass der Ball nicht zwischen Disteln und Unkraut oder in einem Bunker verschwindet.“ Rodney Cocks war Golf spielen. Er schreibt darüber auf den Seiten von www.lonelyplanet.com – neben anderen, die über ihre Abenteuer mit der Paperbackbibel für Individualreisende berichten. Cocks stellt hier nicht nur den Golfplatz vor, er gibt auch praktische Tipps, etwa dass man keine Voranmeldung braucht (es gibt leider kein Telefon) und dass man auf jeden Fall mit Abdul über seine Haftzeit reden sollte. Eingesperrt hatten Abdul die Taliban, denn Cocks schreibt nicht über Extremgolfen im Adventure-Park, sondern über den Golfklub in Kabul.
Auf der Website kann sich der Interessierte, der auf Nummer sicher gehen möchte, auch zu speziellen Risikoreiseversicherungen durchklicken, die von der leichten Schussverletzung plus Heimtransport über die Geiselbefreiung bis zum Tod des Reisenden alle Eventualitäten kalkuliert.
Für Afghanistan gilt, wie auch für die Demokratische Republik Kongo, die Zentralafrikanische Republik, Somalia, den Irak und Haiti, eine Reisewarnung vom Auswärtigen Amt. Die liest sich so: „Wer trotzdem reist, muss mit einer Gefährdung durch terroristische Anschläge rechnen …“
Bei www.wildfrontiers.co.uk – einem britischen Reiseveranstalter, der Afghanistantrips anbietet – kann buchen, wer trotzdem reisen will. Während andere Reiseanbieter wie Studiosus auf Entführungen im Jemen reagieren und ihre Reiserouten ändern, bietet Wild Frontiers den Afghanistanrundumschlag: Kabul, Herat, Bamijan, Masar-i-Scharif. Dazu gibt es für den Reisenden auch nützliche Hinweise wie etwa, sich in Schichten zu kleiden, den Sonnenhut nicht zu vergessen und das Schweizer Taschenmesser einzupacken. Verlinkt ist auch der aktuelle Afghani-Wechselkurs. Von Terroristen, Entführungen, Landminen, Rebellengruppen oder Ganzkörperschleiern steht dort nichts. Obwohl jeder wissen müsste, dass Urlaub in Afghanistan oder im Kongo eigentlich keine beschauliche Kulturfahrt sein kann, scheint es für manche den gewissen Reiz auszumachen, einen Trip dorthin genau als solche oder als entspanntes Kennenlernen von Land und Leuten darzustellen. Ein Extremreisebericht wirkt umso cooler, je lapidarer Worte wie Maschinengewehr, Landminen, Lebensgefahr darin hinter scheinbaren Alltagserfahrungen wie Shopping, Wandern, gemütlichem Smalltalk mit dem Einheimischen oder eben Golfen eingestreut werden, auch wenn der Einheimische zugegebenermaßen ein Bein an eine explodierte Mine verloren hat oder der Golfplatz voller Bunker ist. Die Aussage zwischen den Zeilen: Klar ist es dort gefährlich, aber, hey, ich war trotzdem dort. Oder gerade deswegen? Ein Reiseangebot wirkt anscheinend für bestimmte Globetrotter umso spannender, wenn allgemein bekannte Gefahren hinter der berühmten Gastfreundlichkeit der Einheimischen und der Schönheit der Landschaft verschwinden und sich in der empfohlenen Gepäckliste eben keine kugelsicheren Westen, sondern stattdessen Thermounterhosen finden. Und wer heil zurückgekehrt ist oder vom Auswärtigen Amt zurückgekauft oder von seiner Spezialversicherung befreit wurde, kann dann selbst einen Reisebericht verfassen – über die Schönheiten des Irak, die netten Piraten in Somalia oder die faszinierenden Gorillas im Kongo.