: Ungeschützte Attacke
DAS SCHLAGLOCH von KLAUS KREIMEIER
Am Ende des Jahres stand ein zerbrochener Text. Er fiel hart in die Zeitspalte zwischen Weihnachten und Silvester, in jene „stille Zeit“, in der das Jahr sanft vertropfen will und auf Störungen eher gereizt reagiert. Da stand nun der Text, ein schrundiges Gebilde, von Rissen durchzogen, mit harten Bruchlinien: abweisend, fremd und rätselhaft. Wer mit ihm zu tun bekam, schlich um ihn herum, schüttelte den Kopf, markierte die Distanz und wandte sich ab.
Fremd genug auch die Performance – kam doch der Text aus einer schwarz vermummten Frau heraus, deren Aufzug eine einzige Botschaft der Verweigerung schien. Nur ein schmaler Schlitz gab die Augen frei, ein Sehschlitz, der dem Fernsehzuschauer das mulmige Gefühl verschaffte, dass er selbst angeschaut werde – jenes Zoogefühl, in dem sich der Voyeur unversehens als Objekt erkennt. So funktioniert Fernsehen im Normalfall nicht. Hier war eine Performance, die dem Regelwerk des Mediums widersprach, dem Erwartbaren und Gewohnten eine Mauer entgegensetzte. Entsprechend der Text: inkohärent, zerklüftet, eine zersplitterte Sinnstruktur.
Ein Interview sollte es eigentlich werden: Marietta Slomka befragt die im Irak entführte und nach drei Wochen glücklich befreite Susanne Osthoff nach ihren Erfahrungen. Ein Highlight im „heute-journal“. Als „Scoop“ gilt so etwas in der Branche; der Satellit sorgt für Echtzeit zwischen Mainz und dem Sendestudio von al-Dschasira in Katar und verleiht selbst dem aufgezeichneten Gespräch noch einen Livecharakter. Gefordert sind, bei der Aufnahme, Professionalität und Präzision: von den Technikern, von den Mitarbeitern im Studio, von der Interviewerin und der interviewten Person.
Mit der Logik der Alltagskonversation hat ein Fernsehinterview nichts zu tun. Es folgt einer Medienlogik, die allein das Arrangement gelten lässt, dem Betrachter allerdings den Eindruck vermittelt, es handle sich um eine ganz „normale“ Situation, in der eine fragt und eine andere antwortet. Danach hat man ein Ergebnis, es folgt der Kommentar, der das Ergebnis interpretiert, auf dass dem Zuschauer ein Weg gewiesen werde durch die schwierige Welt. Eine Maschinenlogik. Diese Logik kam im „heute-journal“ nicht zustande. Susanne Osthoff gab ihr von Beginn an keine Chance. Slomka: „Frau Osthoff, ich grüße Sie. Wie geht es Ihnen?“ Osthoff: „Schlecht.“ Das war eine Kampfansage.
In einem klugen Artikel in der FAZ, der hurtig gegen andere Analysen in seiner Zeitung ruderte, hat Patrick Bahners die These aufgestellt, Frau Osthoff sei ein Opfer der ZDF-Bearbeiter geworden. Ohne Verständnis für die dem Zuschauer angeblich unzumutbaren Ausführungen der Archäologin habe man das Interview in Stücke geschlagen und dem Publikum das gerade noch Konsumierbare vorgesetzt. So sei Medienunsinn entstanden und, als womöglich beabsichtigtes und prompt von der Bild-Zeitung bestätigtes Nebenprodukt, das Bild einer beängstigend verwirrten Frau.
So weit die eine Seite des Problems, die institutionelle Seite, die Zerstörungskraft der medialen Maschinerie. Auf sie ist im Zweifel stets Verlass. Ungewöhnlich in diesem Fall eines gescheiterten Interviews war jedoch auch die andere Seite: die Strategie der Befragten, die sich der merkantilen Logik des Frage-Antwort-Rituals verweigert; Frau Osthoffs Eigensinn, der so beschaffen ist, dass sie gar nicht anders kann, als dem linearen und monokausalen Weltbild der Medienveranstalter den Boden zu entziehen. Dies enthüllt erst die Lektüre des vom ZDF schamhaft im Internet publizierten vollständigen Interviews.
Wie die Entführung stattfand, wie sie von den Entführern behandelt wurde: „Das hat alles das BKA aufgenommen, in detaillierter Form, deswegen dauerte das auch ab dem Zeitpunkt, wo ich draußen war, von derselben Minute an bis 25. 12., 1 Uhr 30.“ Die Befragung durch das BKA rechnet Susanne Osthoff zu ihrer Gefangenschaft dazu, weshalb sie darauf besteht, dass sich die Zeit ihrer Unfreiheit nicht über drei, sondern über vier Wochen erstreckte. Sie liegt in einem fundamentalen Streit mit den Institutionen, mit der verwalteten Welt. Darüber will sie Auskunft erteilen, und ebendies lässt das ZDF nicht zu. Auch das ZDF ist eine Institution, die hier von Marietta Slomka verkörpert wird. Das Gespräch zwischen den beiden Frauen wird zum Kampf.
Man kann nicht sagen, dass Frau Slomka „unprofessionell“ agiert. Es ist ja ihre Profession, mit mediengeschulten Gesprächspartnern die Ökonomie von Frage und Antwort versiert auszuhandeln und zu einem perfekten Ende zu schaukeln. Man darf ihr auch abnehmen, dass sie darauf bedacht ist, medienungeübte Menschen vor sich selbst zu schützen. Diese Interviewpartnerin ist medienungeübt, aber sie nutzt ihre Ungeschütztheit zur Attacke, zur Destruktion des Rituals.
Das ZDF will wissen, wer die Entführer waren und wie sie mit ihr umgegangen sind. Susanne Osthoff will die Welt wissen lassen, dass sie sich von der deutschen Botschaft in Bagdad ungerecht behandelt fühlt. „Die haben mich unter Druck gesetzt.“ Es geht um deutsche Fördergelder, insgesamt 15.000 Euro, für ihre Ausgrabungen und ein kulturelles Projekt, und es geht um die pünktliche Einhaltung des Abrechnungstermins. Es geht um Bürokratensätze wie: „Wir brauchen hier keinen Arabisten, wir brauchen eine Abrechnungsstelle.“ Verwaltungsapparate, diese Erfahrung wäre nicht neu, können mit ihrem Formalismus besessene Einzelkämpfer zur Verzweiflung treiben – und sie schaffen es auch, sinnvolle Projekte zu Fall zu bringen, wenn die Ausgabenbelege nicht vollzählig vorliegen.
Susanne Osthoff nutzt die Gelegenheit, der Öffentlichkeit mitzuteilen, dass im Irak bittere Not herrscht. An ihrem mit Sturheit gewappneten Eigensinn zerbricht der vom ZDF sorgfältig eingefädelte Text. Eine aufregende, emotionsgeladene und glücklich überstandene Entführungsgeschichte war geplant. Aber Osthoff ist gegen allen „privaten Pipifax“: Wichtig wäre es, „dass die Bürger mal solche Dinge erfahren: weshalb wir da überhaupt noch etwas tun“. Noch während sie ihre Hilfslieferungen für vierzig irakische Familien organisierte, ging ihr das Geld für die Miete im bayerischen Glonn aus. „Mein Vermieter hatte ja keine Gnade.“ Und: „Ich habe aber gewusst, dass die Leute [im Irak] noch ärmer sind als ich.“
Dem Fernsehen zerfiel eine sentimentale Weihnachtsbotschaft in Trümmer; zur Strafe wurde das, was die Botin einer eher desinformierten Öffentlichkeit zu übermitteln hatte, ins Internet verbannt. Die „Politik“ stand gegen Jahresende nicht viel besser da. Noch zu Beginn des Entführungsfalls hatte Außenminister Steinmeier versichert, dass jedem uneigennützigen Helfer, der im Ausland in Gefahr gerate, der Schutz der Regierung gebühre. Wenig später war davon keine Rede mehr. Auch nicht vom Aufbau der Demokratie im Irak, von der Strahlkraft kultureller Projekte in einem gemarterten Land, von der besonderen Schutzwürdigkeit couragierter, eigensinniger, im Konfliktfall starrsinniger Einzelkämpfer. Auch Regierungsprosa zerbricht schneller als geahnt.