: Spende gut, alles gut?
SPENDEN Die Nothilfe dauert in Haiti länger als in anderen Katastrophengebieten. Viele Hilfsorganisationen schließen sich zusammen und planen bereits den Wiederaufbau. Ärzte ohne Grenzen klinken sich bewusst aus
KATJA MAURER, MEDICO INTERNATIONAL
VON FRAUKE BÖGER
Fast 90 Millionen Euro haben die Bundesbürger bisher für die Erdbebenopfer in Haiti gespendet. Nach den ersten Wochen der akuten Nothilfe in denen Opfer geborgen, Verletze versorgt und Notunterkünfte geschaffen werden, beginnt die Planung, wie es mit Haiti weitergehen soll. Der Wiederaufbau wird langwierig werden, am Montag sicherte eine internationale Geberkonferenz zu, Haiti zehn Jahre lang zu helfen (siehe links). Die Verknüpfung von Katastrophenhilfe und Entwicklungshilfe ist mittlerweile Konsens in der Hilfsbranche. Nur Ärzte ohne Grenzen sind da anderer Ansicht.
„Wenn man über langfristige Schritte nachdenkt, ist man schnell von den akuten Notwendigkeiten abgelenkt“, sagt Frank Dörner, Geschäftsführer der deutschen Sektion von Ärzte ohne Grenzen. Entwicklungshilfe sei der zweite Schritt, Nothilfe der erste. „Beides hat seine Berechtigung, aber wir machen nur die Nothilfe“, erläutert Dörner.
Es ist nicht das erste Mal, dass Ärzte ohne Grenzen einen eigenen Weg in der Hilfsarbeit einschlägt. Bald nach dem Tsunami in Südostasien 2004 hatte die Organisation mitgeteilt, keine zweckgebundene Spenden für die Nothilfe in der Region mehr zu wollen. 110 Millionen Euro hatte die Organisation international an Spenden erhalten, konnte in Südostasien aber nur 25 Millionen Euro einsetzen. Daraufhin wurden die Spender gefragt, man die Gelder in anderen Regionen einsetzen dürfe. „Das hat viel Unmut und Unverständnis bei vielen anderen Hilfsorganisationen hervorgerufen“, berichtet Dörner.
Freie Spenden sind besser
Auch in den Spendenaufrufen nach dem Erdbeben in Haiti machen Ärzte ohne Grenzen deutlich, dass sie freie, nicht an Haiti gebundene Spenden bevorzugt. Man kann zwar explizit für Haiti spenden, muss sich aber damit einverstanden erklären, dass die Spende, sollte für Haiti genug Geld zusammengekommen sein, für andere Regionen und Hilfsprojekte freigestellt werden darf. „Damit sparen wir uns den Aufwand, im Fall des Falles die Spender anzusprechen“, erläutert Dörner.
Andere Organisationen suchen sich Partner und Bündnisse, mit denen sie gemeinsam Spenden sammeln und verwalten. „Viele kooperieren mit anderen Hilfsorganisationen und geben Spenden weiter“, sagt Burkhard Wilke, der Leiter des Deutschen Zentralinstituts für soziale Fragen. „Das ist ein legitimes Ventil“, meint er.
Die Zusammenarbeit in einem Bündnis mit anderen Hilfsorganisationen kommt für Ärzte ohne Grenzen nicht in Frage: „Wir sondern uns ab, weil bei den Bündnissen oft ein Konsens auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner gefunden wird“, sagt Frank Dörner. Die Kritik, die Ärzte ohne Grenzen für den Spendenstopp nach dem Tsunami auf sich zog, ist für ihn einer der Gründe, sich nicht mit anderen Organisationen zusammen zu tun: „Es muss für uns möglich sein, konstruktiv und transparent mit solchen Situationen umzugehen, deswegen halten wir uns heraus.“
Dass sich Ärzte ohne Grenzen gegen zweckgebundene Spenden ausgesprochen haben, hat zwar zu Unmut in der Branche geführt, aber auch das Thema in die Öffentlichkeit gehoben. Bei medico international etwa steigen die freien Spenden von Jahr zu Jahr. Gudrun Kortas, die für die Spenderbetreuung zuständig ist, führt das auch auf die von den Ärzten ohne Grenzen angeregte Diskussion zurück: „Das ist eine gute Entwicklung, die uns die Freiheit gibt, Projekte fördern zu können, die keine mediale Öffentlichkeit finden und somit wenig spendenträchtig sind.“
Bei medico sieht man den Ansatz einer schnellen Hilfe kritisch. Einerseits sei es verständlich, so schnell wie möglich Hilfe leisten zu wollen, andererseits führe es zu überhasteten und auf „mediale Verwertbarkeit“ ausgerichtete Aktionen mit wenig Nutzen für die Bevölkerung vor Ort: „Ich habe selber gesehen, wie in Indien Medikamente rumstanden und nicht verteilt wurden, weil sie Packungsbeilagen in Sprachen hatten, die die Menschen dort nicht verstehen, und wo die Entsorgung dann letztlich teurer war als die Anschaffung“, sagt Katja Maurer, Sprecherin von medico international und Vorstandsmitglied des Bündnisses Entwicklung Hilft.
Präventiver Wiederaufbau
Darin sind seit fünf Jahren Brot für die Welt, medico international, terre des hommes, Misereor und die Welthungerhilfe zusammengeschlossen. „Alle haben eine entwicklungspolitische Ausrichtung“, sagt Maurer. Sie kritisiert die Trennung von Nothilfe und Entwicklungshilfe: „Es muss darum gehen, langfristig in den betroffenen Gebieten Unterstützung zu geben und präventiv die Folgen von Naturkatastrophen zu mildern“, sagt sie. In Nicaragua und Bangladesch sei dies bereits gut gelungen. „Dort sind die Opferzahlen nach Naturkatastrophen stark gesunken, aber das Perverse ist, dass die Spendenbereitschaft von der Zahl der Opfer abhängt.“
Über die Art und Weise der Spendenwerbung einiger Organisationen ist sie nicht glücklich: „Die Bilder, die kreiert werden, sind doch die von dem armen schwarzen Kind und dem weißen Helfer. Es entsteht der Eindruck, dass man helfen muss, weil die das selber sowieso nicht hinkriegen.“ Damit seien die Ursachen für Haitis Probleme keinesfalls erklärt und würden im Gegenteil noch gefestigt: „Genau das ist doch die Struktur, in der Haiti schon immer steckt – es wird von außen regiert.“
Das Bündnis Aktion Deutschland Hilft verbindet Nothilfe und Entwicklungshilfe. „Wir sehen schon in den ersten Tagen der Nothilfe die Notwendigkeiten des Wiederaufbaus und der langfristigen nachhaltigen Hilfe“, sagt Rüther. Ein Drittel der Spenden an das Bündnis gehen in die Nothilfe, zwei Drittel in den Wiederaufbau.
Normalerweise rechnet Aktion Deutschland Hilft für die Nothilfe mit etwa sechs Wochen. In Haiti werde aber wohl mehr Zeit gebraucht werden, die Zerstörung der Strukturen wie Energietechnik, Verkehrsmittel, Infrastruktur ist zu groß. „Daher war der Anfang der Nothilfe zwangsläufig schleppend. Wir mussten alle bei null anfangen“, berichtet Rüther. Einige Hilfsorganisationen haben in Port-au-Prince in den ersten Tagen Werkzeuge verteilt, damit die Menschen ihre Angehörigen selbst bergen können.
Für den Wiederaufbau schöpfen die entwicklungshilfeorientierten Organisationen aus den Erfahrungen aus anderen Katastrophenfällen wie dem Tsunami. Der Evaluationsbericht der Projekte zum Wiederaufbau nach dem Tsunami von Aktion Deutschland Hilft legt auch Fehler im Wiederaufbau offen. Es gab Fälle, da wurde an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei gearbeitet: Es wurden Häuser mit integrierten Küchen gebaut, die Menschen kochen aber traditionsgemäß im Freien. „Es ist eine der vielen Lehren aus dem Tsunami, trotz Zeit- und Erfolgsdruck noch genauer mit den Betroffenen zu reden und herauszufinden, was sie wirklich brauchen“, sagt Rüther. Und das fängt in Haiti gerade erst an.