: Wahltermin in Haiti dringend gesucht
Chaos bei der Vorbereitung, aber auch tiefes Misstrauen der politischen Kräfte untereinander haben zum fünften Mal zu einer Verschiebung der Wahlen in Haiti geführt. Viele unterstellen dem Interimsministerpräsidenten Latortue inzwischen Absicht
AUS PORT-AU-PRINCEHANS-ULRICH DILLMANN
Erneut sind kurz vor Jahreswechsel die haitianischen Präsidentschaftswahlen verschoben worden. Ein neuer Termin für den Urnengang, der nach vier vorangegangenen Verschiebungen eigentlich am 8. Januar stattfinden sollte, ist noch nicht bekannt. Sicher scheint nunmehr, dass die laut Verfassung eigentlich zwingend für spätestens 7. Februar terminierte Amtseinführung einer neuen Regierung nicht pünktlich stattfinden kann. Dabei wird vor allem international händeringend nach einer demokratischen Legitimierung einer Nachfolge von Expräsident Jean-Bertrand Aristide gesucht, der im Februar 2004 nach bewaffneten Aufständen abdankte.
Seit der Conseil Electoral Provisoire (CEP), der Provisorische Wahlausschuss, konstituiert wurde, hat er nicht nur mit organisatorischen Unzulänglichkeiten zu kämpfen. Mal stritten sich die designierten Mitglieder über die Zusammensetzung des Rates, dann wieder verweigerte die von Aristide gegründete Lavalas-Bewegung die Zusammenarbeit, weil sie organisatorisch behindert, Mitglieder staatlich verfolgt und ihr Vorsitzender gezwungen sei, im Ausland zu leben. Dann wieder fehlten die Mittel, um eine landesweite Erfassung der Einwohner und potenziellen Wähler und eine effektive Vorbereitung eines geordneten Urnenganges zu gewährleisten. Die Geberländer machten die Auszahlungen von Geldern für die Wahldurchführung von einem geordneten Haushalt abhängig. Insgesamt stehen 50 Millionen US-Dollar aus dem Ausland für die Wahl zur Verfügung.
Inzwischen sind die Schwächen der Wahlvorbereitung immer offensichtlicher geworden, die nun bereits zum fünften Mal für eine Verschiebung der Wahl geführt haben. Insgesamt 8,6 Millionen Menschen leben in Haiti, rund 4,5 Millionen dürften wahlberechtigt sein, genaue Zahlen kann keine offizielle Stelle, auch der CEP, nicht nennen. Der CEP hat es bisher nicht geschafft, auch in den entlegenen Bergregionen im „Land der Berge“ Wahlbüros zu installieren. Dazu kommt, dass die Registrierung der wahlberechtigten Bevölkerung hoch technologisiert ist. In einem Land, in dem weite Regionen über keine Stromversorgung verfügen, ist das ein kompliziertes Unterfangen. Mal fehlen Transportfahrzeuge für die CEP-Mitarbeiter und ihre Laptops, Digitalkameras und Fingerabdruckerfassungsgeräte, dann wieder geben die Hightech-Geräte wegen unsachgemäßer Handhabung den Geist auf – die Daten sind verschwunden. Nur 1,5 Millionen Personen haben bislang ihre Wahlausweise erhalten.
„Bei uns“, erzählt ein Bauer in der Nähe von Les Palmes, „gibt es derzeit nur ein Wahlbüro.“ In den beiden Gemeinden leben rund 30.000 Menschen. Für die 25 Kilometer von der Hafenstadt Petit-Goâve braucht ein geländegängiges Fahrzeug fast drei Stunden über die oft unterspülten Straßen. In Cité Soleil, einem der Armenviertel der Hauptstadt Port-au-Prince und einer Hochburg der Aristide-Anhänger, gebe es nur zwei CEP-Büros, in denen sich die Wähler registrieren lassen könnten, schimpft ein Lavalas-Mitglied. „Wir sollen faktisch von den Wahlen ausgeschlossen werden.“ Rund 100.000 Menschen drängen sich in den Elendshütten am Rande der Mülldeponie.
Auch in Bel Air, wo es im vergangenen Jahr immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Lavalas-Militanten, der haitianischen Polizei und den UN-Truppen gekommen ist, funktionieren nur drei Wahlregistrierbüros, eins innerhalb des Fort National, das unter den Kommando der brasilianischen Minustah-Streitkräfte steht. Auch die beiden anderen Büros sind in unmittelbarer Nähe von Militärstützpunkten der UN-Friedenstruppe etabliert. „Sie wollen uns kontrollieren. Unsere Anhänger fürchten die Soldaten. Es ist der Versuch, unsere Wähler faktisch von der Wahl fern zu halten, weil sie keine Wahlausweise haben“, befürchtet ein Lavalas-Funktionär mit der Bitte, seinen Namen nicht zu nennen.
Die Wut vieler Oppositionspolitiker richtet sich nun gegen die Interimsregierung des Ministerpräsidenten Gérard Latortue: „Die Übergangsregierung hatte zwei Jahre Zeit, um Wahlen zu organisieren, und sie haben versagt“, klagt Osner Fevry, eine der Führungspersönlichkeiten des Nationalrats Politischer Parteien, eines Zusammenschlusses von 30 Parteien. Er fordert die Regierung unumwunden zum Rücktritt auf zugunsten einer Allparteienregierung, die binnen 90 Tagen Wahlen organisieren soll. Nicht wenige sind inzwischen der Meinung, Latortue, der sich nicht erneut zur Wahl stellen darf, sorge bewusst für Verzögerungen – seine einzige Chance, länger im Amt zu bleiben.