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Archiv-Artikel

Kritik am Stigma eines Test

Diese Eintracht ist selten: Scharf kritisieren die drei großen muslimischen Dachverbände in der Bundesrepublik und die säkulare Türkische Gemeinde in Deutschland (TGD) die neue Einbürgerungsvorschrift, die seit Anfang der Woche in Baden-Württemberg gilt (siehe Dokumentation). Sie stelle „eine eindeutige Diskriminierung und Stigmatisierung von Muslimen“ dar, heißt es unisono. Auch von „Generalverdacht“ ist die Rede.

Die Türkisch-Islamische Union (Ditib) hält den Fragenkatalog für nicht vereinbar mit den Grundrechten. Der Zentralrat der Muslime spricht von einer „grundgesetzwidrigen Gewissensprüfung“, der Islamrat beklagt „einen Schlag ins Gesicht der hier lebenden Muslime“. Kenan Kolat, der TGD-Bundesvorsitzende, hat den Stuttgarter Innenminister Heribert Rech (CDU) in einem Brief aufgefordert, die neue Vorschrift fallen zu lassen. Der Dachverband will allen Einbürgerungswilligen raten, nicht auf die Fragen zu antworten. „Zudem prüfen wir, wie man rechtlich dagegen vorgehen kann“, sagte Kolat der taz.

Ob das neue Verfahren zulässig ist, kann man in der Tat bezweifeln. Schließlich werden Muslime intensiver geprüft als einbürgerungswillige Christen oder Hindus. Eine Ungleichbehandlung aufgrund des Glaubens ist aber laut Grundgesetz im Prinzip nicht zulässig und müsste besonders rechtfertigt werden.

Innenminister Rech begründete die Sonderbehandlung mit der Vermutung, dass viele Muslime bei der Einbürgerung ein Bekenntnis zum Grundgesetz abgeben, das „nicht ihrer inneren Überzeugung“ entspreche. Er begründet dies mit Berichten über die Behandlung muslimischer Frauen in Deutschland. Rech müsste allerdings belegen, dass auch bei den eingebürgerten Muslimen die Gleichberechtigung der Frau missachtet wird.

Problematisch könnte es auch werden, falls die Antworten zu einer Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft genutzt würden. Im Grundgesetz heißt es zwar: „Die deutsche Staatsbürgerschaft darf nicht entzogen werden.“ Doch dies tun die Behörden immer wieder – mit dem Argument, dass der Ausländer bei der Einbürgerung falsche Angaben gemacht habe. Bisher ging es dabei vor allem um die Mitgliedschaft in extremistischen Organisationen. Künftig könnten dazu aber auch die Antworten beim Gesinnungstest benutzt werden.

Ob der nachträgliche Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft überhaupt möglich ist, prüft derzeit das Bundesverfassungsgericht. Hier geht es um den Fall eines Nigerianers, der bei der Einbürgerung die Verdienstbescheinigung eines Namensvetters vorlegte. Wenn der Mann seine erschlichene deutsche Staatsbürgerschaft behalten kann, dann dürfte der Entzug der Staatsangehörigkeit bei eingebürgerten Extremisten erst recht unzulässig sein.SAM, CHR