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Archiv-Artikel

Chinesische Grillen

Zhang Yangs „Badehaus“ zeigt den letzten Schutzraum der durch den sozialen Wandel bedrohten Männlichkeit

Putzige Behinderte rücken die normale Welt ins Verhältnis: Ein Klischee, das von Filmen wie „Rain Man“ oder „Forrest Gump“ reichlich überstrapaziert wurde und meist die schlimmsten Ursprungsmythologien vom einfachen Leben oder unverstellten Blick im Gepäck hat. Dass geistig Behinderte auf der Leinwand manchmal trotzdem noch gehen, besonders dann, wenn sie nicht aus Hollywood stammen, weder putzig sind noch ihrer Umwelt den rechten Weg weisen: Das beweist der chinesische Film „Badehaus“ von Zhang Yang, der erst jetzt, sechs Jahre nach seiner Erstaufführung, in die deutschen Kinos kommt.

Erzählt wird die Geschichte von Er Ming, dem geistig zurückgebliebenen älteren Bruder, seinem Vater Liu, der mit dessen Hilfe ein traditionelles chinesisches Badehaus in einem Hutong in Peking führt, und dem verlorenen Sohn Da Ming, der im Laufe der Geschichte nicht nur körperlich, sondern auch seelisch nach Hause kommt. Doch ist es nicht dieser reichlich rechteckig wirkende Geschäftsmann, der geläutert wird – es ist der Alltag im Badehaus, in dem Er Ming vollkommen integriert ist, der diesen Film so besonders macht. Auch wenn man nur ahnt, dass das in China keine Selbstverständlichkeit ist, dass man auf den Straßen der großen Städte niemals geistig Behinderten begegnet und dass selbst die nettesten Chinesen mitunter ihre Angst vor geistig Behinderten zur Sprache bringen: Es ist genau dieser Alltag, der „Badehaus“ nicht nur erträglich, sondern herzerweichend macht.

Der Ausschnitt Welt, der sich im Badehaus spiegelt, scheint anfangs noch unberührt von „Chinas Aufstieg zur Weltmacht“ und vom „Sprung des Drachen“, der derzeit das westliche Chinabild prägt. Hier geschieht alles ruhig, alles ist handgemacht, hier funktioniert noch, was man gute Nachbarschaft nennt: Vater Liu massiert seine Kunden, er trinkt mit ihnen Reisschnaps, wenn sie jemanden zum Reden brauchen und er leiht ihnen Geld, wenn sie sich auf windige Mafiosi eingelassen haben. Und Er Ming tritt in des Vaters Fußstapfen. Er freundet sich mit dem dicken Jungen an, der unter der Dusche so gern „O Sole Mio“ zum Besten gibt, und er hilft ihm, als er vor einem Publikum steht, aber ohne das vertraute Plätschern völlig blockiert ist.

Wunderbar, wie der Alltag im Badehaus inszeniert ist, wie mit langen Totalen, einer ruhigen und zurückhaltenden Kamera immer wieder dieselben Rituale und Tagesabläufe ins Bild schwingen. Man lässt sich davon einlullen, wie immer wieder morgens gewischt und angeheizt wird, immer wieder dieselben alten Männer mit ihren Kampfgrillen kommen, Tee trinken, Radio hören und Zeitung lesen, wie immer wieder Liu und Er Ming nach getaner Arbeit gemeinsam joggen gehen und am Ende um die Wette rennen.

Wunderbar auch, wie dieser Schutzraum, zu dem Frauen keinen Zutritt haben, wie eine letzte zerbrechliche Bastion angeschlagener Männlichkeit erscheint und wie zurückgenommen die großartigen Schauspieler dies umsetzen. Wie beim gemeinsamen Bad über Potenzprobleme und Ehekrisen diskutiert wird, wie der Vater mit dem behinderten Sohn spielt, oder wie er außer sich gerät, als Er Ming in der Stadt verloren geht und einen Tag lang vermisst wird.

Mag sein, dass bis hierher noch immer einigen Zuschauern die Geschichte zu absehbar ist oder die Filmmusik zu kitschig – ganz egal, dass Regisseur Zhang Yang auch deshalb für seine Kompromisse geliebt wird, weil er diese seltenen unabhängigen Filme macht, die nicht nur erfolgreich auf internationalen Festivals laufen, sondern auch in chinesischen Kinos. Doch auch diese letzten Hartnäckigen werden geschliffen werden. Im letzten Drittel des Films nämlich geht es um Abschied. Das Badehaus, das gesamte alte Viertel, in dem es steht, wird abgerissen werden. Die Alten werden sich in weit entfernten Ecken der Stadt zurechtfinden müssen und ihre Grillen, die die dünne Luft im zwanzigsten Stock eines Miethauses nicht überleben würden, werden sie abschaffen müssen. Auch Er Ming wird in einer Mietwohnung klarkommen müssen. Am Ende des Films steht er auf dem Rand eines leeren Beckens und singt selbst „O Sole Mio“.

SUSANNE MESSMER

„Badehaus“. Regie: Zhang Yang. Mit Zhu Xu, Pu Cunxin, Jiang Wu. China 1999, 92 Min., Mandarin mit dt. UT