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Radikal oder schick?

IMAGE Künstler und Kuratoren aus Osteuropa fragen sich, wie ihre Arbeit im Westen besser ankommen könnte. Probiert es nicht mit dem Bekannten, sagen die Berater von dort

VON JAN FEDDERSEN

Und dann gab es den Moment, wo der Streit unvermeidlich werden musste – das war, als Boris Groys, diese menschliche Champions League in Sachen Deutung von moderner Kunst überhaupt, streng wurde. Der Philosoph und Kunstwissenschaftler, sehr lange Professor in Karlsruhe, inzwischen in New York, sagte: „Kunst ist Kampf.“ Der junge Mann, ein Kurator aus Armenien, nahm die Antwort verblüfft auf – hatte er doch nur zu bedenken gegeben, dass die Einkommenssituation von Künstlern auch in seinem Land ärmlich aussehe.

In der Groys’schen Bemerkung lag ein Realismus, der zu diesem Tagungsklima von Neugier und Respekt zunächst nicht passen wollte: Ging es nicht in erster Linie darum, den aus dem Ausland eingeladenen Gästen gemeinsam Horizonterweiterungen anzubieten? Die Überschrift der einwöchigen Konferenz hieß „Zukünfte des Museums“, ausgerichtet vom Goethe-Institut, inspiriert und teils moderiert von Stephan Wackwitz, Leiter der Niederlassung im georgischen Tiflis.

Plädoyer für Eigensinn

Es sollte zusammengeführt werden, was zueinander gehört – und zwar nicht in postsowjetischer Hinsicht. Alle Männer und Frauen repräsentierten Länder, die einst zur UdSSR gehörten, von Aserbaidschan über Weißrussland bis zur Ukraine – und alle wollten hören, wie das geht: anschlussfähig zu werden an die etablierte Kunstwelt im wohlhabenden Westen. Wie schafft man es, selbst Player zu werden – und entsprechende Aufmerksamkeiten zu organisieren?

Ehe Boris Groys eben auf diese gewisse Konstante der allermeisten künstlerischen Existenzen in globaler Hinsicht hinwies – 95 Prozent aller, die Kunst beruflich betreiben, können davon kaum leben –, setzte Christian Demand eine wichtige Pointe. Der inzwischen als Herausgeber des Periodikums Merkur – Zeitschrift für europäisches Denken wirkende Kunsthistoriker skizzierte erfrischend ein dissidentes Programm von dem, was die Chancen der postsowjetischen Kunst sein könnte. Es komme, so Demand, nicht darauf an, den immer gleichen Reigen von Künstlern – Malern, Bildhauern, Designern – zu präsentieren. Nicht die ewig gleichen Koons, Richters und Pollocks, nicht immer nur Namen wie Jacobsen, Breuer oder Gropius. Wenn neue Museen entstünden, wenn Künstler etwa Länder wie Kasachstan, Georgien, Armenien oder Russland ihre Wege gehen wollen, sollten sie eben das Eigene probieren – nicht schon wieder das, was in der Tate in London, dem MoMA in New York oder im Pariser Louvre bereits zu sehen ist.

Recht verstanden lautet die Analyse: Was hunderttausende Kunstinteressierte museal vorgesetzt bekommen, sei nur eine Setzung – und könne kanonisch erweitert werden. Das wurde als Ermunterung verstanden. Julia Sorokina, Kuratorin für zeitgenössische Kunst im kasachischen Almaty erzählte, dass ihre Arbeit eine Kooperation mit digitalen Archiven sei – mit einer Plattform etwa, die sich astralnomads nennt. Der Name deutet auf die kasachische Tradition des Nomadischen hin. Kunstschätze im Internet zu präsentieren sei schneller und praktikabler – jetzt, da in ihrem Land Entsäkularisierung und strenge Popularisierung des Islam zunähmen: Kasachische Kunst könne am ehesten Eigensinn im Aktuell-Archivalischen entwickeln. Das sei, so verstand es Groys, ihre Art, so etwas wie eine „Heterotopie“ zu ermöglichen – einen Raum, der sich der gesellschaftlichen Normalität entzieht und dem Noch-Möglichen einen Rang gibt. Groys entwickelte sich im Laufe der Tagung zu einer Art Oberkonsultant.

Das Wichtigste: Freiheit

Aber sind solche Forderungen nach einem Kontrapunkt zur üblichen Konfektion überhaupt realistisch? Noch sind junge Nationalstaaten wie Armenien oder Georgien fragil genug, dass andere Vorstellungen von dem, was wichtig, angesagt und schön ist, dort nicht von selbst für subversiv gehalten werden. Schaut man sich aber exsowjetische Länder an, in denen sehr viel Geld, etwa in Aserbaidschan mit seinen grotesk überschießenden Öl- und Gasreservoirs, inzwischen auch Mäzene und Sammler hervorbringt, sieht man, wohin die Reise auch gehen könnte: ins Bekannte. Oligarchisches Geld sucht in der Ukraine, in Aserbaidschan wie auch in Russland die gängige Meisterkunst des Westens. Von ästhetischer Dissidenz, vom Willen, eine eigene Avantgarde zu kreieren und auch zu fördern, ist nichts bekannt.

Bis sich das ändert, bis sich Demands Wunsch, nicht dem Traditionellen nachzustellen, wenigstens halbwegs erfüllt, bleiben Fragen nach der je einzelnen künstlerischen Existenz offen. Auf die Frage von Gästen an Boris Groys, wie man denn in Kontakt mit Käufern im Westen komme, war seine Antwort, man möge sich aufs Kommunistische verlegen. Auf die radikale Geste. Sollte wohl heißen: Im Westen kommen bei Kunstliebhabern gerade künstlerische Sinnbehauptungen im Fahrwasser des radical chic besonders gut an.

Wato Tsereteli aus Georgien, ein Künstler, der in Antwerpen studiert hat, in seinem Land eine Art gesamtkünstlerisches Dasein führt und keine Angst vor Experimentellem hat, sagte zu dieser pragmatischen Idee: „Eine Mixtur aus Spekulation und Prostitution.“ Er bevorzuge nicht die Chiffre namens Kommunismus, Transzendenz im politischen Sinne Marx’, auch wenn er sich als spirituellen Menschen verstehe. Für ihn sei alles nur diesseitig – und das Wichtigste: „Freiheit“. Könne man das nicht verstehen für Länder, in denen man sich gerade des gelebten Kommunismus entledigt habe?

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