hauchdünn in bielefeld von WIGLAF DROSTE :
Bei meinem jährlichen Besuch in Bielefeld schlürte ich durch die Innenstadt und landete bei „Feinkost Klötzer“, wo es jede Menge Köstlichkeiten in fester und flüssiger Form, aber auch eine irritierende Kundschaft gibt: Menschen, die ihr Leben dem Irrtum widmen, eine gut gefüllte Brieftasche verleihe ihnen den Status des Bessermenschen, der ein Anrecht auf Rundumvollbedienung habe.
Ich betrat den Laden. In der Luft war zu viel Parfüm und noch mehr Gemeinheit. Eine ältere Schnepfe im Pelzmantel malträtierte einen jungen Mann hinter der Verkaufstheke, begehrte in schneidendem Ton dies und das, probierte mäkelig, vollführte abschätzige Handbewegungen und hielt den ganzen Laden auf. Sie gehörte ganz offenkundig zu den unglücklichen Menschen, die ihr Leben in Dünkelhaft verbringen, anderen lästig fallen, damit aber kein Mitgefühl erzeugen, weil sie sich dazu einfach zu mies benehmen.
Die bepelzte Schnatze verlangte Schinken und teufelte auf den Verkäufer ein, er solle ihn aber so was von „hauchdünn“ schneiden. Das Wort „hauchdünn“ sprach sie affektiert aus, „haaauchdünn“, und wiederholte es immerzu: „also haaauchdünn, ja, haaauchdünn.“ Der junge Mann versicherte ihr, er schneide den Schinken so dünn es nur gehe und hielt ihr zum visuellen Beweise eine Scheibe hin. Man konnte fast hindurch gucken, aber die Schreckensgestalt kannte weder Einsehen noch Gnade und litanierte weiter: „Der Schinken ist für meinen Mann, und er will ihn haaauchdünn, also wirklich haaauchdünn.“
Der Laden und die Ohren der Anwesenden waren mit „haaauchdünn“ bis zum Platzen gefüllt, doch sie gab keine Ruhe und haaauchdünnte weiter auf den geplagten Verkäufer ein. Als sie zum neunten oder zwölften Male ihren „Haaauchdünn“-Gesang anstimmte, konnte ich nicht mehr, trat näher und sprach sie leise, aber vernehmlich an: „Den Schinken braucht Ihr Mann sicher als Kondom, oder?“ Ihr Gesicht verlor die Fassung, sie suchte nach Worten, fand keine, blieb stumm – und gut war.
Mit einer kleinen Vorspeisentüte in der Hand verließ ich wenig später den Laden. Tausende Bielefelderinnen und Bielefelder waren auf den Straßen, und alle mussten noch ganz dringend irgendwo hin. Mir gingen die von Udo Lindenberg verballhornten, ursprünglich auf Bitterfeld gemünzten Verse durch den Kopf, die Bielefeld unsterblich gemacht haben: „Sehn wir uns nicht auf dieser Welt / Dann sehn wir uns in Bielefeld.“ Gut gesagt, sicher, aber auch ein Fluch – wann immer man gefragt wird, wo man herkommt, und „Bielefeld“ antwortet, bekommt man todsicher den Lindenberg-Spruch gesagt.
Ich fand, dass es Zeit war für ein paar neue und originäre Bielefeld-Zweizeiler. Zur Sicherheit schrieb ich sie gleich auf und schenkte sie der Stadt: Was vielen Menschen nie gefällt, / Heißt nicht selten: Bielefeld. // Wo verdient ein Mann sein Geld? / Ungern nur in Bielefeld. // Frauen, dauerwurstgewellt, / Gibt es, auch in Bielefeld. // Wer nirgends sonst die Zeche prellt, / Tut es wohl in Bielefeld. // Nicht abgeholt, obwohl bestellt: / Dies Gefühl heißt Bielefeld.
Und dann machte ich, dass ich fortkam.