: Skype mich an!
Immer mehr Menschen telefonieren über Internet. Dank der Software „Skype“ ist das nicht nur billiger, sondern auch einfach zu handhaben. Sind Festnetz-Telefon und Handy wirklich out?
VON MICHAEL STRECK
Sind es Autisten? Schauspieler vor der Probe? Oder benutzen sie einfach nur flinke Spracherkennungsprogramme? All jene Menschen, die man immer häufiger dabei beobachten kann, wie sie mit ihren Computerbildschirmen sprechen. Die Antwort ist relativ einfach: Sie telefonieren. Über das Internet.
Aus ihren Laptops ertönen Stimmen. Manche haben Kopfhörer mit seitlich angebrachten Mikrofonen auf. Wie Kundenberater in einem Callcenter. Sie sitzen im drahtlosen Internet-Café, der Flughafen-Lounge, Hotel-Lobby oder eingestöpselt zu Hause. Sie pfeifen auf die Telekom oder ihre Mobilfunkanbieter. Und sprechen stundenlang mit der Tante in Australien. Umsonst. Überall. „Skypen“ nennen sie das ganze: Telefonieren über das Internet.
Nie wieder auf einen Telefonanschluss warten. Nie wieder Rechnungen bezahlen. Nie wieder endlose Billigvorwahlnummern einspeichern. Nur noch den Computer einschalten und „Skype“ starten. Die Software, die einen Computer in ein Telefon verwandelt, ist in drei Minuten aus dem Internet geladen. Das Festnetz wird überflüssig.
Dies geschieht jeden Tag 130.000-mal, insgesamt zählt man bislang über 200 Millionen Downloads. Mittlerweile hat Skype weltweit 70 Millionen Nutzer – obwohl das Programm erst seit 24 Monaten auf dem Markt ist.
Als im Sommer 2005 das bis dato, abgesehen von Internet-Insidern, weitgehend unbekannte Unternehmen – laut einer Umfrage in den USA denken Amerikaner, Skype sei entweder eine Wodka-Sorte oder ein Hybrid-Auto – von Ebay für 2 Milliarden US-Dollar gekauft wurde, geriet die Kommunikationsbranche in Aufruhr. Wirtschaftsmagazine stimmten den Abgesang für das gute alte Telefon an. Michael Powell, Chef der amerikanischen Telekommunikationsbehörde FCC, prophezeite, nachdem er selbst Skype ausprobiert hatte, dass auf dem Telefonmarkt fortan nichts mehr so sein werde wie früher. Der Londoner Telekommunikationsguru James Enck warnte: „Skype ist wie ein Meteorit, der auf die Erde zurast.“ Die New Yorker Unternehmensberatung Deloitte Touche wollte von 2.000 US-Firmen wissen, wie sie auf die Revolution im Internet reagieren. 80 Prozent gaben an, innerhalb der kommenden zwei Jahre das Internettelefon zu testen oder umsteigen zu wollen.
Der Siegeszug von Skype ist der Albtraum der herkömmlichen Telekomindustrie. Das Erfolgsrezept des Internet-Pioniers – weltweit nur 145 Angestellte, Firmenzentrale in Luxemburg, Marketingabteilung in London und Produktentwicklung in Estland – fußt neben dem Preis auf seiner kinderleichten Anwendung. Jeder Computeranalphabet kann es installieren.
Das Programm besteht aus einem dreistufigen Serviceangebot. Kostenlos sind Gespräche mit all jenen, die ebenfalls über die Software verfügen und registriert sind: „Skype to Skype“. Nummern werden hierbei nicht mehr gebraucht. Man klickt einfach auf den Namen eines anderen bekannten Nutzers, und Skype stellt die Verbindung her. Wer dennoch regulär Telefonnummern anwählen will, kann dies über „SkypeOut“ tun. Dazu muss ein Konto eröffnet werden, auf das jedoch nicht mehr als 10 Euro eingezahlt werden können. Per Maustaste wählt man dann die Nummern. Alle Gespräche, egal wohin, kosten 1,7 Cent pro Minute. Es braucht Wochen, bis dieses Konto vertelefoniert ist. Wer dennoch ohne eine eigene Telefonnummer nicht auskommen möchte, erhält diese über „SkypeIn“, inklusive Anrufbeantworter für 30 Euro pro Jahr.
Dieser Service ist in den USA bereits länger verfügbar. In Deutschland funktioniert er erst seit kurzem. Hierzulande können jedoch nur Telefonnummern vergeben werden, die sich im Ortsnetz des jeweiligen Wohnorts befinden. In den USA hingegen kann sich ein Texaner mit einer Vorwahlnummer aus New York registrieren lassen und umgekehrt.
In Deutschland nutzen bereits vier Millionen Menschen Skype. Jeden Monat kommen weitere 300.000 dazu. Zwanzig Prozent von ihnen haben sich ein Konto eingerichtet und für die Premiumvariante entschieden. Dabei gilt die Regel: Je länger jemand die kostenlose Telefonie ausprobiert, desto wahrscheinlicher ist es, dass er irgendwann auch die Bezahlangebote in Anspruch nimmt.
Der Skype-Boom hat natürlich vorerst Grenzen. Um über das Internet telefonieren zu können, braucht man einen Computer und Breitbandanschluss. Die „PC-Penetrationsrate“, wie es im Fachjargon heißt, liegt in Deutschland allerdings erst bei rund 50 Prozent. Und nur 15 Prozent aller Internetnutzer wählen sich über eine Breitbandverbindung ins Netz ein.
Doch auch diese Hürde wird bald genommen, glaubt Tim von Törne, Chef von Skype Deutschland. Das Jahr 2006 werde „die Loslösung der Software vom Computer“ bringen. In Zukunft soll Skype auch über das Mobiltelefon laufen und den unsichtbaren Draht ins Internet herstellen – ein Service, der in den USA bereits existiert. Dort geben 17.000 so genannte Skype-Hotspots in Cafés oder Flughäfen einen Vorgeschmack auf die neue mobile Internettelefonwelt.
Das Ende der traditionellen Telefonie will von Törne allerdings noch nicht prophezeien. Auch im Jahre 2010 werde das Festnetz noch eine Rolle spielen. Doch insgesamt werde der Telefonmarkt immer stärker fragmentiert. Skype stünde weniger in Konkurrenz zu herkömmlichen Telefonkonzernen, sondern würde diese vielmehr ergänzen. Nicht zuletzt benötigt auch Skype für die Durchleitung seiner Gespräche Kabelstränge oder Mobilfunkfrequenzen.
Fachleute sind sich dennoch einig, dass der Anteil an Gesprächen, die zukünftig über das Internet geführt werden, erheblich wachsen wird. Dies dämmert auch der Deutschen Telekom in Bonn. Auf die Frage, wie sehr Skype den Markt durcheinander gewirbelt hat, sagt Mark Wettberg von T-Com: „Für bestimmte Nutzungsszenarien will ich das nicht in Abrede stellen.“ Übersetzt aus dem Pressesprecher-Deutsch: Mit Telefonieren über das Festnetz lässt sich demnächst kaum noch Geld verdienen. Oder, wie James Enck vorhersagt: „Die Kosten für Telefongespräche werden über kurz oder lang gegen null tendieren.“
Sicher, Internettelefonie ist gewöhnungsbedürftig und eine Generationsfrage. „Meine Eltern werden keine Skype-Kunden mehr“, scherzt Wettberg. Skype-Fans sind nach eigenen Unternehmensangaben überwiegend zwischen 25 und 45 Jahre alt. Dreißig Prozent nutzen es geschäftlich. Die Software ist ideal für Firmen, die international operieren und um den Globus telefonieren. Die Preise für Gespräche lassen sich dadurch drastisch reduzieren.
So versucht die Deutsche Telekom, sich als Anbieter von Datennetzen zu positionieren, mit denen man alles übertragen kann: Telefon, TV, Radio, Internet. Sie beruhigt sich mit ihrer Monopolstellung: Immerhin versorgt sie 90 Prozent der deutschen Internetnutzer mit einem Breitbandanschluss, und Skype erobert vor allem ein Marktsegment, das längst von der Telekom aufgegeben und von den Call-by-Call-Billiganbietern dominiert wird. Zudem hat die Sprachübertragung zwischen Computern schließlich erst begonnen.
In einem Punkt können die traditionellen Telefon-Konzerne aufatmen: Skype zerstört zwar ihren (Börsen-)Wert, baut aber keine neue Infrastruktur auf. Muss es aber auch gar nicht, glaubt man den Visionen von Skype-Erfinder Niklas Zennström. Der Schwede ist davon überzeugt, dass die persönlichen Rufnummern bald der Vergangenheit angehören werden. Stattdessen werden Menschen ihren eigenen Namen als Anwähl-Code verwenden. Mit einem Taschen-PC oder Handy werde man sich von überall ins Internet einwählen und dann via Skype auch telefonieren können.
Unabhängig davon, ob es mit Skype weiter so steil aufwärts geht, gilt es bereits jetzt als klassische disruptive Technologie – ein Begriff, der von Harvard-Professor Clayton Christensen geprägt wurde. Dabei handelt es sich um ein Produkt, das plötzlich auftaucht, in den Bereich herkömmlicher und dominanter Technologien einbricht und diese dann möglicherweise selbst dominiert. Für viele Internetkenner besitzt Skype das Potenzial, zu einer globalen Internetmarke aufzusteigen. Wie Google, Amazon oder Yahoo.
Letztere, aber auch AOL und Microsoft wollen sich nun ebenso auf dem Markt der Internettelefonie tummeln. Skype reagiert gelassen. Zu groß sei der Erfahrungs- und Kundenvorsprung. Außerdem hat der futuristisch-rätselhafte Name bereits ein Eigenleben begonnen, immer noch umgeben von der Aura des Internet-Rebellen, der den Giganten zu Leibe rückt. Die Entwickler von Skype sind auf dem besten Weg, einen ähnlichen Volltreffer zu landen wie einst die Macher von Google. Ebenso wie die Suche im Internet mittlerweile für jeden Opa „googeln“ heißt, schickt sich Skype an, synonym für das Telefonieren im Internet zu werden: Skype mir!