: Aufarbeitungen aus dem Kellerloch
GEWALT Noch heute gilt es in Korea als Tabubruch, von Gräueltaten der Militärregierung zu erzählen. Wie sich das auf das koreanische Gegenwartskino auswirkt, zeigt ein Festival im HKW
VON ANKE LEWEKE
Dem koreanischen Kino eilt der Ruf einer gewissen Brachialität voraus. Tatsächlich tobt sich seine Brutalität quer durch alle Genres in allen erdenklichen Formen, Allegorien und Metaphern auf der Leinwand aus. Und es liegt nahe, diese Gewalt, die mit einer so zerstörerischen wie selbstzerstörerischen Energie produziert wird, auf die nie aufgearbeiteten, geschweige denn geahndeten Verbrechen während der Militärregierung und der japanischen Besatzung zurückzuführen.
Auch die Filme des Korean Cinema Today Festivals sind nicht frei von Exzessen, Wut und Rachegeschichten, doch zeigt sich die Gewalt inzwischen ganz konkret. Die Dinge und Umstände werden beim Namen genannt. Da es in Korea noch heute als Tabubruch gilt, von Folter und anderen Gräueltaten der koreanischen Politik und Geschichte zu erzählen, kann man angesichts von schonungslosen Aufarbeitungsfilmen wie „National Security“ und „Ji Seul“ von kleinen Sensationen sprechen. In „National Security“ findet sich der Zuschauer in dem im Seouler Polizeihauptquartier gelegenen Folterkeller der Militärregierung von Chun Doo Hwan Mitte der Achtziger wieder. Dorthin wurde der prodemokratische Aktivist Kim Geun Tae wegen angeblicher Beziehungen zu Nordkorea verschleppt. In dokumentarischer Manier hält Chung Ji-young die Folter, die Qual des Mannes, den Sadismus der Wärter fest.
In „Ji Seul“ wiederum wird man Zeuge des Massakers vom 3. April 1948 auf der Insel Jeju, als eine rechtsgerichtete Regierung mit amerikanischer Unterstützung einen angeblich kommunistischen Aufstand niederschlug. Der in stilisierten Schwarzweißbildern gedrehte Film spielt in einer Höhle, in der sich einige Familien mit Kindern und Großeltern versteckt halten. Man teilt ihre Angst, denn die Schritte und Schüsse der Feinde rücken bedrohlich näher. Man freut sich mit ihnen, wenn es jemand geschafft hat, Essen ins Versteck zu schmuggeln. Für einen Moment kehrt Frieden auf der Leinwand ein, wenn die noch heißen Kartoffeln geschält werden. Sie geben diesem Film übrigens seinen Titel: „Ji Seul“ heißt im Jeju-Dialekt Kartoffel.
Vielleicht ist es diese immer noch weitgehend verdrängte Vergangenheit, die so schwer auf den Schultern einer seltsam erstarrten Jugend lastet. In hipper Kleidung und gestylten Frisuren scheint sich Koreas jüngste Generation ihrem Schicksal – will sagen: einem hemmungslosen Fortschrittswahn – zu ergeben und auf Teufel komm raus Karriere zu machen. In ihren gelben Trenchcoats wirken Sang-won und Seung-jun wie bestellt und nicht abgeholt. Wer sollte sie auch abholen? Eltern, die sich in ihrem Glauben an eine bessere Zukunft übernommen haben, und nun mit überdimensionalem Flatscreen im Wohnzimmer und dem dicken Auto vor der Tür bis über beide Ohren verschuldet in Lethargie verharren? Sang-wan und Seung-jun tauschen Neuigkeiten aus, einer der Väter sitzt nach dem Bankrott seiner Firma im Gefängnis, der andere wird von Schuldeneintreibern heimgesucht. Mit den beiden Universitätsabsolventen steigt in „Sunshine Boys“ auch die Angst mit ins Auto, und ein Roadmovie steuert einer mehr als ungewissen Zukunft entgegen.
Für Min-wook, den Helden aus „Pluto“, scheint das Elite-College das Ende vom Anfang zu sein. Er wird gemobbt, weil seine Mutter alleinerziehend ist, weil er sich keine Markenklamotten leisten kann und sich im Unterricht schwertut. Als sein ärgster Feind, ein verwöhnter junger Mann aus besserem Haus, tot im Wald entdeckt wird, findet sich Min-wook in einem Netz aus Lügen und Intrigen wieder. „Pluto“ ist eine gewagte Mischung aus Whodunit-Thriller und Revenge-Movie, die den Zuschauer in die Abgründe einer gnadenlos klassenorientierten Gesellschaft hinabblicken lässt. Und es ist sicher kein Zufall, dass sich das explosive Ende dieses Films in dem dunklen Kellergewölbe des Internats ereignet, in dem – so berichten sich die Schüler mit vorgehaltener Hand – vor nicht allzu langer Zeit Oppositionelle gefoltert wurden.
■ Korean Cinema Today: bis 12. 5. im HKW, Programm: www.hkw.de