: Der gefesselte Präsident
VEREINIGTE STAATEN Barack Obama kann angesichts der Republikaner nicht viel erreichen. Die Restchancen macht er sich selbst zunichte
■ 1926 geboren, lebt in New York. Er lehrte als Soziologieprofessor an der Georgetown University und beriet Robert sowie Edward Kennedy. Er war Mitbegründer der New Left Review und schreibt heute u. a. für The Nation.
Der prominenteste Gefangene Amerikas sitzt nicht in Guantánamo, sondern im Weißen Haus. Bei Barack Obama, der im Amt gefesselt ist, wechseln sich rhetorisches Pathos und opportunistische Konzessionen an die Opposition ab. Seine Kompetenzen, ein langfristiges Programm des ökonomischen und sozialen Wiederaufbaus in Gang zu setzen, sind äußerst beschränkt. Mehr noch: Seine Möglichkeiten, auch nur die elementaren Regierungsaufgaben zu leiten, sind dank des Zusammenwirkens der Feindseligkeit der Republikaner und unserer dysfunktionalen Institutionen ebenso limitiert.
All dies vergrößert die wütenden Reaktionen einer entpolitisierten Öffentlichkeit, die die Ursachen ihrer Unzufriedenheit nicht ausmachen kann. Die Arbeitslosigkeit geht nur sehr langsam zurück. Noch immer fehlen große Investitionen in Bildung und Infrastruktur, die die Vereinigten Staaten für den internationalen Wettbewerb stärken würden. Diese könnten nur von einer starken Zentralregierung beschlossen werden, die aber von den Republikanern zur ökonomischen und sozialen Bedeutungslosigkeit verdammt werden soll.
Alles wird blockiert
Die amerikanische Gewaltenteilung erlaubt Gouverneuren und den Parlamenten der 50 Einzelstaaten, Bundesprogramme, die ihre Mitwirkung erfordern, zu blockieren oder zumindest einzuschränken. Das von den Republikanern beherrschte Repräsentantenhaus verweigert Kompromisse bei Haushaltsfragen und Sozialthemen. Im Kongress müssen 60 der 100 Senatoren ein Gesetz unterstützen. Die Demokraten, die noch dazu intern zerstritten sind, haben weniger.
Beide Häuser des Kongresses nutzen ihre finanzielle und investigative Macht, um die Bundesbehörden einzuschüchtern. Vom Präsidenten nominierte Kandidaten werden blockiert oder ihre Ernennung zumindest lange verzögert. Richter, die von früheren Präsidenten auf Lebenszeit ernannt wurden, erklären Gesetze für null und nichtig, die trotz allem den Kongress passieren konnten. Der Oberste Gerichtshof könnte schon bald Programme beenden, die Afroamerikanern und Latinos dabei helfen, ihre Diskriminierung zu überwinden.
Was die Mehrheit der Bevölkerung denkt, zählt nicht allzu oft. Eine Mehrheit ist gegen Einschnitte bei den Sozialsystemen. Die Verdrehungen der Befürworter der Austerität, ihre geradezu obsessive Beschreibung der Wirtschaft als von Haushaltsdefiziten des Bundes bedroht, macht die Mobilisierung zugunsten eines aktiven Staates schwierig. Sechzig Prozent der Wählerschaft nahmen an der letzten Präsidentschaftswahl teil, aber bei der Wahl zum Repräsentantenhaus und dem Senat im kommenden Jahr wird die Beteiligung geringer ausfallen. Barack Obama verfügt über eine schlagkräftige Wahlkampforganisation, hat aber seine eigenen Anhänger enttäuscht, weil er den Republikanern Einschnitte in die Sozialsysteme als Teil eines größeren Deals zum Haushalt angeboten hat.
Machtlose Gewerkschaften
Die Gewerkschaften sind zwar gegen die Marktideologie eingestellt, die die Medien dominiert. Aber weniger als zehn Prozent der Beschäftigten im privaten Sektor sind in Gewerkschaften organisiert. Die organisierten Beschäftigten im öffentlichen Sektor (rund fünfzehn Prozent) müssen um ihre Jobs kämpfen. Die Kürzungen der Bundesausgaben durch das sogenannte Sequester (automatische Haushaltskürzungen, die in Kraft treten, wenn es keine politische Übereinkunft zum Haushalt gibt) haben eine verheerende Wirkung auf die öffentlichen Dienstleistungen. Obama müsste kampfeslustiger werden, damit den normalen Amerikanern deutlich würde, wie abhängig sie von der Regierung sind.
Obama verteidigt die unverzichtbaren ökonomischen Funktionen des Staates aber nicht konsequent. Seine technokratischen Berater, die meist Verbindungen zur Finanzindustrie haben, ignorieren die Tradition des New Deal. Die Neigung des Präsidenten zu Kompromissen und Inkrementalismus (also nur Gesetze vorzuschlagen, die sich ohne großen Aufwand durchsetzen lassen), trotz einer entschlossenen und skrupellosen Opposition, hinterlässt das Land in einem ideologischen Nebel.
Republikanische Bundesregierungen haben in ihren Staaten die Distrikte für die Kongresswahlen so zugeschnitten, dass die Wiederwahl ihrer Parteikollegen gesichert ist. Die amerikanische Verfassung wirkt Mehrheiten entgegen: der Präsident benötigt große Mehrheiten, um viel zu erreichen, und Obama kämpft immer resignierter mit seinen Grenzen der Macht.
Rückzug ist Sieg
In der Außenpolitik, in der seine Autonomie größer ist (weil die Präsidenten im letzten Jahrhundert die Macht an sich gerissen haben, verfassungswidrig Krieg zu führen), ist der Präsident abenteuerlustiger. Er hat die Rückzüge aus dem Irak und Afghanistan geleitet, die er fälschlicherweise als Siege dargestellt hat. Er hat mit den Geheimdiensten und dem Militärapparat einen faustischen Pakt geschlossen und einen „Krieg gegen den Terror“ verfolgt, der kein Ende haben wird. Im Gegenzug hat ihn der Apparat dabei unterstützt, dem Druck der Israel-Unterstützer (die mit einer großen Zahl von Kriegsbefürwortern verbündet sind, die von Amerikas Allmacht fantasieren) teilweise zu widerstehen, Krieg gegen den Iran zu führen oder in Syrien zu intervenieren. Obama hat die Dinge für sich komplizierter gemacht, indem er seine Kritiker durch einen wirtschaftlichen und geheimen Krieg gegen den Iran beruhigt hat.
Sein außenpolitisches Hauptziel ist es, den 20. Januar 2017 (den Tag, an dem sein Nachfolger ins Amt eingeführt wird) zu erreichen, ohne einen großen Krieg geführt zu haben. Eine Mehrheit der Amerikaner unterstützt ihn darin – was jedoch, ebenso wie in der Innenpolitik, systemisch ignoriert werden kann. Angesichts der innenpolitischen Krise, die auf unabsehbare Zeit anhalten wird, und einer Außenpolitik, der es an Tiefe und historischem Realismus fehlt, ist die unerschütterliche Loyalität der europäischen Atlantiker bemerkenswert. Sie werden aber nicht von den USA betrogen. Sie betrügen sich selbst. NORMAN BIRNBAUM