: Womanizer vor dem Herrn
Wenn Lou Rawls vom Verlassensein sang, fühlte es sich wie in Kuschelwolle verpackter Sex an. Jetzt ist der Soulcrooner im Alter von 70 Jahren an Lungenkrebs gestorben
Er war die Schweißnaht zwischen den Welten. Kaum ein Sänger vor ihm hat Jazz, Gospel, Soul und Pop so engmaschig zusammengestrickt wie Lou Rawls. Nicht einmal Nat King Cole oder Sam Cooke, für den er 1962 auf dessen flehendem „Bring it on home“ die Backingstimme sang. Und auch die, die nach ihm kamen, konnte man an dem erkennen, was sie von Rawls gelernt hatten: Bei Issac Hayes waren die „Raps“ ein Widerhall der langsam sich eingroovenden Monologe, mit denen Rawls viele Stücke einleitete; und auch für Barry Whites liebeskaterhaftes Gebrumme dürfte der Rawl’sche Baritonsamt stilprägend gewesen sein.
Dabei fing die Karriere des am 1. Dezember 1935 in Chicago geborenen Louis Allen Rawls in der Kirche an. Als Kind sang er im Chor der lokalen Baptistengemeinde, als Teenager schloss er sich der Gospelgruppe Holy Wonders an, und 1953 ging er mit den Chosen Gospel Swing Singers auf Tour. Erst zu Beginn der Sixties entschied sich Rawls für die weltlichen Verlockungen, trat in den Nachtklubs von Los Angeles auf, wo ihn ein Talentscout der Plattenfirma Capitol entdeckte. Dort versuchte man Rawls mit soliden Bluesstandards aufzubauen – ein Jazzsänger mehr für die Late-Night-Schiene der Radiostationen.
Dass aus Rawls dann doch ein Entertainment-Riese von Las-Vegas-Format und mit weltweiten Hits wurde, hat er vermutlich dem Produzenten David Axelrod zu verdanken. Axelrod erkannte, wo sein Markt lag – und baute Rawls zum singenden Charmeur für ein weibliches Massenpublikum auf, der in barocke Arrangements eingebettet darüber klagte, dass Liebe stets an Schmerzen gekoppelt sei („Love is a hurtin’ thing“) und dass auch Männer Gefühle haben, die sie oft nur viel zu spät zeigen würden („Your Good Thing (is about to end)“).
Keine Frage, Rawls war ein Womanizer vor dem Herrn, ein Sinatra in black, und er spielte gern mit seinen Mitteln. Ähnlich wie bei George Clooney, in dessen Auftritten immer ein bisschen Spott darüber mitschwingt, das all die Verführungskunst und Herzensbrecherei nur wegen seines, ja doch, ziemlich guten Aussehens funktionieren, galt auch für Rawls: It’s mostly the voice – was genau er sang, war dann gar nicht wichtig. Dass er sich für die Jugend in den Ghettos engagierte – er selbst war on the poor side of Chicago aufgewachsen – und schon früh den „United Negro College Fund“ gründete, schien nicht zu zählen, wenn er nur sein „You’ll never find another love like mine“ summte. Bei ihm fühlte sich Sex schmuseweich nach Kuschelwolle an, vielleicht war er darin der Letzte seiner Art.
HARALD FRICKE