Musikantisch und federnd

OPER Die Düsseldorfer Deutsche Oper am Rhein startet ihre Rameau-Serie mit einer überzeugenden Inszenierung von „Les Paladins“ durch Arila Siegert – höfisch gespreizt und rustikal stampfend

An Rameaus Spätwerk ist besonders heikel, dass es zur seltenen Gattung der Ballettkomödie zählt

Vom Barockboom an den Opernhäusern hat Jean-Philippe Rameau hierzulande bislang kaum profitiert. Während es in Frankreich längst eine Rameau-Renaissance gab, fremdeln die hiesigen Bühnen nach wie vor mit dem Oeuvre des Hofkompositeurs Ludwigs XV. Insbesondere Rameau gilt zudem als schwierig, da seine kleinteilige Musik extrem diffizil ist und selbst von Spezialisten nicht leicht zum Klingen zu bringen ist.

So scheint es riskant, dass die Deutsche Oper am Rhein sich unter ihrem neuen Intendanten Christoph Meyer in Sachen Barockmusik nun ausgerechnet Rameau zuwendet und einen ganzen Zyklus seiner Werke stemmen will. 250 Jahre nach der Uraufführung machte die Comédie lyrique „Les Paladins“ in Düsseldorf nun den Anfang der Rameau-Erkundung und erlebte ihre deutsche szenische Erstaufführung. Der einhellige Jubel nach der Premiere lässt ahnen, dass Meyers Rechnung aufgehen dürfte.

An Rameaus Spätwerk ist besonders heikel, dass es zur seltenen Gattung der Ballettkomödie zählt. Der Tanz ist hier keine Nebensache, kein Atemholen zwischen virtuosen Gesangsnummern, wie die obligatorischen und heute meist gestrichenen Balletteinlagen anderer Barockopern, sondern integraler Bestandteil und Motor des Werks. Die Musik selbst ist durchweg enorm gestisch und fußt ganz buchstäblich auf komplizierten, ständig wechselnden Tanzrhythmen zwischen höfisch gespreizter Eleganz und rustikal stampfender Volksmusik.

Das ist eine Steilvorlage für Regisseurin Arila Siegert, die eine Schülerin der Tanzlegende Gret Palucca ist. Für Siegert sind die Körperlichkeit der Musik und die tänzerische Bewegung der Schlüssel zu Deutung und Darstellung. Siegert bürstet Rameau in Düsseldorf ergo nicht gegen, sondern offensiv mit dem Strich. Jeder Schritt, jede Geste von Chor, Tänzern und Solisten ist gestaltete Musik. Siegert hat jedoch keine streng abgezirkelte klassische Choreografie gebaut, sondern komponiert überquellende Tableaus, in denen sich jede Figur nach eigenen Gesetzen zu bewegen scheint. Das Bewegungsrepertoire mischt dabei wie selbstverständlich gezierte Gavotte-Schritte und barocke Posen mit zappelndem Breakdance und Moonwalk in Zeitlupe. Grobmotoriker mögen das reichlich hyperaktiv finden, den Drive der Rameau’schen Musik erschließt dieses verspielte Konzept vorzüglich.

Die märchenhafte Geschichte des jungen Paladins Atis, der seine Geliebte Argie aus den begehrlichen Fängen ihres Vormunds Anselme zu befreien trachtet und sein Ziel mit der Hilfe seiner freigeistigen Paladin-Gefährten und der (Tenor-)Fee Manto schließlich erreicht, taugt allerdings wenig zu tief gründelnder Psychologisierung und bietet auch kaum Angriffsfläche für eine dekonstruierende Regieaxt. Siegert setzt daher ganz auf die Theaterwirkung aus dem Geist üppig bewegter Bilder. Das Ergebnis ist leicht, musikalisch, komisch und dabei durchaus subtil. Eine ironische Ebene zieht der Maler Helge Leiberg ein, der im Zuschauerraum sitzt und das Geschehen auf der von Frank Philipp Schlößmann mit verschiebbaren Wänden sparsam möblierten Bühne sozusagen übermalt. Via Overheadprojektor werden seine live entstehenden Kommentare direkt auf die Bühne projiziert.

Im Graben leitet Konrad Junghänel das Spezialistenensemble „Neue Düsseldorfer Hofmusik“. Anfangs rumpelt und holpert es noch und an der Balance mit den Sängern hapert es bisweilen, doch trifft Junghänel den feinen, zart kolorierten, rhythmisch so agilen Esprit der Musik genau und das Orchester klingt mitreißend frisch, brillant, musikantisch und federnd. Das Sängerensemble ist sehr jung besetzt und entsprechend leicht timbriert, allen voran Anders J. Dahlins smarter, darstellerisch fabulös präsenter „Atis“, der seine schwierige Haute-Contre-Partie mit tänzelnder Nonchalance meistert, gefolgt von Anna Virovlanskys schmelzend reinem „Argie“-Sopran. Iulia Elena Surdu (Nérine), Andrian Sâmpetrean (Anselme), Laimonas Pautienius (Orcan) und Thomas Michael Allen (Manto) überzeugen allesamt. REGINE MÜLLER