In verborgenen Winkeln

Katharina Wagner inszeniert an der Deutschen Oper Berlin Giacomo Puccinis „Il Trittico“. Nach tausend Motiven hat sie in den Kurzopern gesucht – und den musikalischen Innenraum übersehen

Am Schluss wird Katharina Wagner ein wenig ausgebuht. Sie hat aber auch neugierig gemacht

VON NIKLAUS HABLÜTZEL

Die Deutsche Oper in Berlins Westen steht spürbar im Schatten der Konkurrenz aus dem Osten. Das mag erklären, warum sie glaubt, das neue Jahr gleich mit angeblichen „Festwochen“ für Giacomo Puccini eröffnen zu müssen. Nüchtern betrachtet besteht das Fest lediglich aus einer konzertanten Version eines Frühwerkes („Le Villi“) und fünf mehr oder weniger sehenswerten Inszenierungen der bekanntesten Opern des gewiss nicht selten gespielten Komponisten.

Seit nicht mehr Christian Thielemann am Pult seht, geht von diesem Repertoire nicht viel Glanz aus. Aber seit Sonntag ist das anders: Katharina Wagner, die Urenkelin des großen Richard, hat ihre Neuinszenierung von Puccinis „Trittico“ aus dem Jahr 1918 vorgestellt. Und tatsächlich ging die Rechnung auf: Mit viel Prominenz und ausverkauftem Haus schienen für einen Abend lang die goldenen Zeiten zurückgekehrt zu sein, zu denen jede Premiere an der Bismarckstraße ein gesellschaftliches Ereignis war.

Nun wird Katharina Wagner niemand die Regeln des Kulturgeschäfts erklären müssen. Klappern gehört nun mal dazu, und sie selbst hat sich um das Festivalgeschrei nicht im Geringsten gekümmert, sondern ihren eigenen Zugang zu Puccinis schwieriger Konstruktion eines Opernabends aus drei vollkommen unterschiedlichen Einaktern gesucht. Als Erstes schickt sie uns ins Kloster der Suor Angelica, die dort ganz allein in einem riesigen Schlafsaal auf ihrem Bett sitzt und für die Sünde eines unehelich empfangenen Kindes büßt. Neonlicht, grauer Sichtbeton und hohe Gitterfenster im Hintergrund markieren ein Foltergefängnis; wer hier einsitzt, ist ein Opfer religiösen Terrors, und nur zu gerne möchte man Katharina Wagner auf diesem Weg folgen.

Aber sie traut sich nicht, die Nonnentragödie über das hinaus zu entlarven, was auch Puccini als Kritik einer Heuchlermoral zuließ. Der virtuos in den antikisierend-sparsamen Grundton des Stücks hineinkomponierte Aufschrei der misshandelten Seele erstickt, und die Frage, ob das imaginierte Paradies nach dem Selbstmord nun Satire oder doch ernst gemeinter Ausdruck jenseitiger Erlösung ist, möchte die Regie nicht entscheiden. Zwar lässt sie schrecklich bunte Rauschgoldengel tanzen, aber nur hinter den Knastfenstern, so, als ob eine solche Provokation von Puccinis Himmelsmusik fern zu halten sei.

Ins selbe Büßerbett legt sich danach auch der Schlaumeier Gianni Schicchi, um das Testament des Toten Buoso Donati zu fälschen: Deftig volkstümlich soll der Schwank sein, den Puccini mit reifer Meisterschaft komponiert hat. Mit überaus respektvoller Sorgfalt zeichnet Wagner die Galerie der Erbschleicher nach, richtig komisch werden sie dennoch nie. Einzig die hübsche Parodie eines gitarrenschwingenden Schlagersängers und seines absurd süßen Schlussduetts mit Schicchis Tochter sorgen für Erholung in dem vorhersehbar abgespielten Spaß, den sich der Großmeister des tragischen Gefühls hier einmal machen wollte.

Lag es an den immer noch grauen Betonwänden, die den drei Einaktern ein formale Klammer verpassen, die sie wahrscheinlich nicht brauchen? Vielleicht. Immerhin umrahmt die Trostlosigkeit des Gefängnisbildes sinnfällig die Trostlosigkeit der gescheiterten Ehe von Giorgetta und Michele im Schluss-Stück „Il Tabarro“. Es ist Wagner weitaus besser gelungen als die beiden anderen. Paolo Gavanelli sorgt in der Rolle des betrogenen Ehemanns mit seinem überwältigend schön klingenden Bariton sogar für einen wirklichen Höhepunkt des Abends. Das Unglück dieses Mannes wird plötzlich glaubhaft und lässt in seiner elementaren Wucht aber auch erkennen, was der Inszenierung zuvor gefehlt hat.

Sehr fleißig, aber auch seltsam altklug hat Katharina Wagner in diesen drei kurzen Stücken nach tausend verborgenen Winkeln, nach Motiven gesucht. Überall hat sie Kostbarkeiten gefunden, sie will sie alle ausstellen, übersieht aber dabei fast immer den inneren Raum der Musik, der den handelnden Personen Platz zur dramatischen Entfaltung gibt. Auch in diesen Kurzopern fehlt er nicht – die Nonne Angelica etwa ist ja nicht nur dieses Häufchen Elend, das hier zu sehen war, sondern eine Riesenrolle, die Christina Gallardo-Domas in der Premiere leider nicht ganz bewältigt hat. Bei Katharina Wagner können aber auch die anderen Figuren selten zu ihrer vollen musikalischen Größe auswachsen.

Nicht, weil ihnen die Stimme fehlte. Gesungen wird in der Deutschen Oper durchweg auf hohem, untadeligem Niveau. Sie können es nicht, weil sie ständig über allerlei Requisiten und Anspielungen stolpern, die nicht immer geistreich sind, etwa so wie die Nebenrolle des Arbeiters, der auf Schwimmflossen über die Bühne watscheln muss, weil er den Namen „Stockfisch“ trägt. Das ist nur platt, so platt wie der Stierkopf, den der Geliebte der vernachlässigten Ehefrau auf dem Kopf trägt.

Dass Katharina Wagner am Ende auch ein wenig ausgebuht worden ist, gehört zum Geschäft, das sie gut genug kennt. Natürlich hat sie kein Berliner Puccini-Festival eröffnet, wohl aber gezeigt, dass sie eine junge Regisseurin ist, die neugierig macht auf weitere Inszenierungen – nicht des Namens wegen.