: Ritter Trutbert war nicht der erste
BREMERHAVEN Eine 4.000 Jahre alte Feuersteinsichel, die in Geestendorf gefunden wurde, verweist auf ungeahnte historische Dimensionen
Eine erste Spur der ersten Ackerbau treibenden Ur-Geestendorfer wurde im Bereich der Bremerhavener Ellhornstraße ausgegraben. Es handelt sich um das Stück einer Feuersteinsichel. Dieter Bischop vom Bremer Landesamt für Archäologie schätzt ihr Alter auf etwa 4.000 Jahre. Bischop betont: „Das ist das erste Zeugnis aus der Übergangsperiode zwischen Jungsteinzeit und Bronzezeit.“
Zugleich konnten Bischop und sein Team zahlreiche Relikte des mittelalterlichen Geestendorf aufspüren, das über Geestemünde Teil des Bremerhavener Stadtgebietes wurde: Brunnen, Abfallschächte, Pfostenspuren und Keramik. Bislang gab es keinerlei archäologische Funde in Geestendorf. Einzige Ausnahme war eine römische Goldmünze, die im 19. Jahrhundert auf der Geestendorfer Gemarkung ausgegraben worden sein soll – doch zwischenzeitlich selbst wieder verschütt gegangen ist.
Die nun gefundenen handfesten Spuren der Ur-Geesendorfer sind dem Bau mehrere Kindertagesstätten zu verdanken: Die jüngsten Geestendorfer werden demnächst also auf den Hinterlassenschaften der ältesten Einwohner spielen. Zu verdanken sind diese Erkenntnisse einem ehrenamtlichen Mitarbeiter der Landesarchäologie, Egon Stuve – der in seiner Freizeit mittelalterliche Scherben auf der Baustelle auflas. Bischop wiederum war ungewöhnlich erfolgreich bei der Durchsetzung eines mehrwöchigen Baustopps. Wobei die Kommune Bremerhaven als Träger des Bauvorhabens sich offenbar zu mehr archäologischer Rücksichtnahme veranlasst sah, als dies private Investoren in der Regel tun.
Immerhin bekommt die Stadt dafür ein fehlendes Stück ihrer Geschichte geliefert. Einige Brunnen datieren aus der Zeit zwischen dem 9. und dem 13. Jahrhundert, in ihnen wurden sogenannte Kugeltöpfe gefunden. „Das waren die Allround-Kochtöpfe des Mittelalters“, erläutert Bischop. Zudem kamen Trinkbecher und Rahmschüsseln zu Tage, die wohl der Herstellung von Butter und Käse dienten. Bischop: „Wie weit sich die Bewohner auf die hohe See hinaus gewagt haben, davon sagen die bisherigen Funde noch nichts.“
Die erste urkundliche Erwähnung von Geestendorf stammt aus einem Besitz-Verzeichnis des Ritters Trutbert aus dem Jahr 1139. Nun aber ist zweierlei klar: Das mittelalterlich Dorf ist mindestens 300 Jahre älter – und wurde seinerseits auf einem Gelände errichtet, das schon 3.000 Jahre zuvor landwirtschaftlich genutzt wurde.
Fast vier Wochen haben Bischop und seine KollegInnen noch Zeit zum Graben. „Wir hoffen auf weitere Überraschungen“, so der Archäologe. HB