: Chemieunfall mit glimpflichen Folgen
Amtsgericht verhandelt ab morgen über den Kapitän des Säuretankers „ENA 2“, der 2004 angetrunken eine Havarie auf der Elbe verursachte. Sein Kapitänspatent ist Mike K. los, die ökologischen Folgen der Kollision sind inzwischen ausgeglichen
Von Elke Spanner
959 Tonnen Schwefelsäure hat die „ENA 2“ geladen, als sie am 28. Juni 2004 den Petroleumhafen in Waltershof ansteuert. Die Fracht, Eigentum der Norddeutschen Affinerie (Affi), soll dort zwischenlagern, bevor sie auf Seeschiffe verladen und an Düngemittel- und Chemiewerke in Europa und Übersee ausgeliefert werden soll.
Es ist gegen 18.22 Uhr. Die Leitzentrale des Hafens weist routinemäßig einlaufende Schiffe ein, als auf den Kontrollmonitoren plötzlich ein „Geisterfahrer“ zu sehen ist: Die „ENA 2“ fährt auf der falschen Seite. Für eine Warnung ist es zu spät, Sekunden später hat das kleine Tankschiff den Containerriesen „Pudong Senator“ gerammt. Die „ENA 2“ schlägt leck und verliert augenblicklich an Stabilität. Dem Kapitän gelingt es gerade noch, das Schiff an den Anleger zu manövrieren, dann kentert es und treibt kieloben im Hafenbecken.
Eine Woche lang wird die „ENA 2“ kieloben liegen, ehe die Bergung gelingt, aber das weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand. Die Wasserschutzpolizei, Feuerwehr und Krankenwagen rücken an. Giftige Gase treten aus, ein knappes Dutzend Hafenarbeiter wird mit Atemwegsreizungen ins Krankenhaus gebracht. Erst wird beschwichtigt, die hoch konzentrierte Schwefelsäure lagere sicher in den Tanks, dann ist die Rede von einer Katastrophe. Die Umweltbehörde führt sofort eine Messung des pH-Wertes im Wasser durch. Der sinkt deutlich ab. Es dauert nicht lange, bis die ersten toten Fische vorbeitreiben. Im Laufe der folgenden Woche sickern die gesamten 959 Tonnen Schwefelsäure aus den Tanks in die Elbe.
Die Polizei nimmt den Kapitän Mike K. noch am Unfallort fest. Eine Blutentnahme ergibt 2,19 Promille Alkohol im Blut. Trunkenheit am Steuer, das ist auch auf dem Wasser nicht erlaubt. Mike K. bekommt eine Strafe bereits, ehe morgen vor der Abteilung für Schifffahrtssachen des Amtsgerichtes der Prozess gegen ihn eröffnet wird: Der Kapitän ist sein Schiffsführerpatent auf Lebenszeit los. Nun bleibt die Frage zu klären, ob er ins Gefängnis kommt. Die Staatsanwaltschaft hat ihn wegen Gefährdung des Schiffsverkehrs und Gewässerverunreinigung angeklagt.
Abgesehen von den persönlichen Konsequenzen, die die Havarie für den heute 38-Jährigen hat, ist der Chemieunfall vergleichsweise glimpflich ausgegangen. Die ausgetretene Schwefelsäure wird durch das Elbwasser so verdünnt, dass sie schon kurz nach dem Unfall außerhalb des Petroleumhafens nicht mehr messbar ist.
Auch Greenpeace gibt schnell Entwarnung. Ihr Schifffahrtsexperte Christian Bussau stellt vier Tage später erleichtert fest, dass „das Becken des Petroleumhafens tot ist, sich aber rasch erholen wird“. Hauptsächlich Stinte sind im verschmutzten Elbwasser erstickt, und deren Bestand, bestätigt auch Umweltbehördensprecher Volker Dumann, „erholt sich sehr schnell“.
Die Norddeutsche Affinerie zieht dennoch Konsequenzen. Ihre beiden Frachtschiffe, die „ENA 1“ und die „ENA 2“, stehen zum Verkauf. „Wir wollen keine Schiffseigentümer mehr sein“, erklärt Sprecherin Michaela Hessling. Ab April wird die Reederei Dettmer für die Affi alle Gefahrguttransporte übernehmen, „das gehört ohnehin nicht zu unserem Kerngeschäft“. Das Tankschiff „ENA 2“ liegt seit dem Unfall auf der Werft, reparieren lässt die Affi es nicht mehr. Das Schwesterschiff, die „ENA 1“, ist zurzeit noch auf der Elbe unterwegs. Den Frachter hat die Affi umbauen lassen, er wurde mit dem Sicherheitssystem „shipview“ ausgerüstet: Bei Kontakt mit Wasser schließen alle Tankverschlüsse und Sicherheitsventile automatisch.
Außerdem, sagt Hessling, hat die Affi ihre Mitarbeiter per Rundschreiben an das absolute Alkoholverbot auf ihrem Werksgelände erinnert. Im Alkoholpegel des „ENA 2“-Kapitäns hat auch der Senat die Hauptursache für den Unfall gesehen. Auf Initiative Hamburgs hin hat vorigen August der Bundesrat die Promillegrenze in der Schifffahrt abgesenkt: Die Obergrenze liegt nun bei 0,5 Promille, auf Fahrgast- und Gefahrgutschiffen ist das Trinken ganz untersagt.
Noch am Unfallort verspricht Affi-Chef Werner Marnette, auch die ökologischen Folgen des Chemieunfalls auszugleichen. Im Petroleumhafen neue Fische anzusiedeln, hat sich indes erübrigt, der Bestand hat sich von allein erholt. Um dennoch Wort zu halten, hat die Affi sich zusammen mit der Umweltbehörde etwas anderes ausgedacht: Im Dezember hat sie 28.000 Aale in der Alster ausgesetzt.