Warnung vor einer Hungersnot in Kenia

Regierung und Helfer rufen zu massiver Hilfe für Millionen von Hungernden in den Nomadenregionen auf. Der Grund sind schwache Regenfälle. Dabei fährt das Land in anderen Regionen Rekordernten ein. Warnungen auch für das Horn von Afrika

Im Süden fallen die Preise für Mais, Bauern und Händler verkaufen nicht

VON DOMINIC JOHNSON

Hilfswerke und Regierung in Kenia machen für eine gigantische humanitäre Hilfsaktion mobil. 2,5 Millionen Kenianer – fast ein Zehntel der Bevölkerung – seien vom Hungertod bedroht, erklärte dieser Tage die kenianische Regierung von Präsident Mwai Kibaki und rief zu 150 Millionen Dollar internationaler Hilfe auf. Der Präsident sprach von einem „nationalen Notstand“. Die Bürger sollen Geld und Getreide spenden, um den Hungernden in den trockenen Landesteilen zu helfen.

Auch das UN-Welternährungsprogramm WFP warnt vor einer Hungerkatastrophe – nicht nur in Kenia, sondern auch in Nachbarländern am Horn von Afrika. Die Zahl der Bedürftigen in Kenia, derzeit vom WFP mit 1,2 Millionen angesetzt, könnte auch nach UN-Rechnung auf 2,5 Millionen steigen, wenn im Februar die Ergebnisse der in dieser Woche begonnenen Felduntersuchungen vorliegen.

Berichten privater Hilfswerke zufolge ist die Situation besonders in den östlichen und nordöstlichen Landesteilen schlimm. Hier leben hauptsächlich Nomaden des Somali-Volkes. In der Stadt Mandera nehmen die Einweisungen unterernährter Kinder in Notkliniken stark zu. Zu Zehntausenden sind bereits Rinder verendet. Die Deutsche Welthungerhilfe warnte am Montag vor einer Wiederholung der Hungerkatastrophe in Niger vergangenes Jahr, auf die die internationale Gemeinschaft viel zu spät reagiert hatte. Vielleicht erfolgen deshalb die Hilfsappelle diesmal früh. Noch liegt die bestätigte Zahl von Hungertoten in Kenia erst bei 40. Dennoch will das WFP seinen bestehenden Kenia-Hilfsappell von 128 auf 268 Millionen Dollar aufstocken.

Neben den mutmaßlich 2,5 Millionen Bedürftigen in Kenia rechnet die UN-Organisation mit 1,5 Millionen in der Somali-Region Äthiopiens sowie 1,4 Millionen in Somalia selbst. Die UN-Agrarorganisation FAO macht eine noch düsterere Rechnung auf: Elf Millionen Menschen würden am Horn von Afrika auf Hilfe angewiesen sein, erklärte sie vergangene Woche.

Anlass für die dramatischen Zahlen ist die schlechteste Regenzeit seit zehn Jahren, die im Dezember in Kenia zu Ende ging. Die nächsten Regenfälle gibt es erst Ende März, aber schon ist das Weideland in den Viehzuchtgebieten verdorrt. Kenia ist diesmal sogar schlimmer dran als das benachbarte Äthiopien. Dort wird nach Angaben des Hunger-Frühwarnnetzwerks FEWS die Zahl der Hungernden erheblich geringer sein als 2005, weil die Regenfälle besser waren als sonst und die Preise für das Hauptexportprodukt Kaffee sich mehr als verdoppelt haben.

Das Elend der Nomaden und die Dürre sind in Kenia zwar allen klar, aber die plötzlichen Alarmrufe der Regierung stoßen dennoch in politischen Kreisen auf Skepsis. Denn sie kommen nach der schweren Krise der Regierung Kibaki im vergangenen November, als die Wähler eine von ihr vorgelegte neue Verfassung ablehnten und daraufhin das gesamte Kabinett zurücktreten musste. Pünktlich zum Beginn des neuen Schuljahres am 9. Januar, das zahlreichen Schulkindern kostenlose Mahlzeiten beschert, ruft nun die Regierung zu mehr internationaler Hilfe auf als je zuvor seit ihrer Wahl 2002, obwohl es bereits 2004 eine ähnlich schwere Hungerkrise in Kenia gab.

Paradoxerweise erlebt Kenia außerhalb der Dürregebiete eine außergewöhnlich gute Erntesaison. 2005 und 2006 erwartet das Land eine Rekord-Maisernte von 2,9 Millionen Tonnen, 10 Prozent mehr als der Durchschnitt. Die Preise sind bereits stark gefallen und liegen 20 Prozent unterhalb des Durchschnitts. Nur wächst der Mais nicht dort, wo die Hungernden leben, und bei niedrigen Preisen verkaufen Bauern und Händler nur ungern. Es läge an der Regierung, dafür zu sorgen, dass trotzdem Überschüsse aus dem feuchten Südwesten in den trockenen Nordosten Kenias gelangen. Das aber, so kritisiert die Opposition, schafft die Regierung nicht, obwohl sie Ende letzter Woche den sofortigen Aufkauf „allen verfügbaren Maises“ dekretierte.