: Wenig Hoffnung für die Roten Karten
Mit der geplanten EU-Hafenrichtlinie Port Package II würden im strukturschwachen Bremerhaven noch mehr Menschen arbeitslos. Das befürchten die Hafenarbeiter und organisierten eine mächtige Protestkundgebung
Bremen taz ■ Qualität kann vieles bedeuten. Für Hafenarbeiter Wolfgang K. bedeutet es, ein Auto so an Bord eines Schiffes zu fahren, das es hinterher noch genauso aussieht wie vorher. Diese Art von Qualität, so sagt er, sei gefragt. Und deswegen vertrauten die weltgrößten Automobilkonzerne ihm und seinen Kollegen ihre Erzeugnisse an – fast 1,5 Millionen Stück im vergangenen Jahr. „Schließlich sind wir zertifiziert.“ Und überhaupt: Jeder Versuch, ohne einschlägige Ausbildung „einen neuen 7er BMW“ in den Bauch eines 13-stöckigen Schiffes zu manövrieren, würde „an der Wand enden.“
Der Arbeiter ist seit 26 Jahren bei der BLG Logistics, einem der halbstaatlichen bremischen Hafenbetriebe. Er und 1.800 seiner Kollegen legten gestern die Arbeit nieder, 1.200 von ihnen beteiligten sich nach ver.di-Angaben an Protestkundgebungen in Bremerhaven. Der Grund ist die geplante EU-Hafendienstleistungsrichtlinie, genannt „Port Package II“. Mit der Richtlinie will die EU-Kommission das Hafengeschäft liberalisieren und für mehr Wettbewerb sorgen. Lotsendienste, Schleppdienste und das Löschen von Ladung sollen an zeitlich befristete Konzessionen gebunden werden. Außerdem sollen Reedereien ihre Schiffe selbst be- und entladen dürfen, was bisher den in den Häfen ansässigen Unternehmen vorbehalten ist. Der Entwurf des „Port Package II“ steht am 16. Januar auf der Tagesordnung des Europäischen Parlamentes.
Wolfgang K. und seine Kollegen halten hiervon gar nichts. Konkurrenzfähig seien sie, jawohl, und stolz darauf. Sich dies von Politikern kaputtmachen zu lassen, die „keinen blassen Schimmer haben, wie es in einem Hafen aussieht“, das geht ihnen gegen den Strich. Und das mit „Port Package II“ neben der Sicherheit eben auch die Qualität der Verladungen und Löschungen den Bach herunter gehen würde, das ist ihnen wichtig festzuhalten.
Etwas bescheidener gibt sich Marika L. Auch sie fährt für die GHB Autos auf die Schiffe – nach einer nur viertägigen Einarbeitung. Damit ist sie keine Ausnahme, denn die Bremerhavenerin ist eine von 466 so genannten „Roten Karten“ – das sind Aushilfskräfte, die bei Bedarf nur für jeweils eine einzige Schicht von der Hafengesellschaft eingestellt werden. Ein Phänomen moderner Deregulierung ist dies mitnichten: Schon ihr Vater habe mit der „Roten Karte“ sein Geld verdient – damals freilich mit dem Tragen von Kaffee oder Bananensäcken statt mit dem Rangieren teurer Autos, erzählt sie. Sie selbst ist seit 2004 dabei – und zufrieden.
Ist nicht die tageweise Einstellungspraxis, die ewige Ungewissheit über die monatlichen Einkünfte schon eine Art des Sozialdumpings, vor dem ihr Betriebsrat gerade lautstark warnt? Sie sieht das anders. Ihre Bezahlung sei zwar niedrig, entspreche aber dem gewerkschaftlichen Tarifvertrag. Zudem gelte in Bremen eine bundesweit einzigartige Sonderregelung: Erhält sie vier Tage in Folge keine Schicht, springt rückwirkend das Arbeitsamt ein. Außerdem sei sie voll sozialversichert und erhalte Zulagen für Urlaubs- und Feiertage. Dennoch: Die „Roten Karten“ wären die ersten Leidtragenden, sollte Port Package II im EU-Parlament mehrheitsfähig werden. Die Reeder würden vermutlich auf ihren Schiffen die PKW mit eigenen Kräften fahren, und auch das Heranbringen an die Schiffe könnte bei einer Ausschreibung an Billiganbieter ohne Sozial-, Sicherheits- und Qualitätsstandards gehen.
Besonderen Groll hegen die Bremerhavener Arbeiter gegen den Hamburger CDU-Europaabgeordneten Georg Jarzembowski. Dieser habe den Richtlinienentwurf für Port-Package II als Beschlussvorlage ins EU-Parlament eingebracht. Einige der Hafenarbeiter würden ihn dafür am liebsten „mit einem Stein um den Hals von der Kaimauer“ schubsen.
Soweit würden der Bremer Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) und der Bremerhavener Bundestagsabgeordnete Uwe Beckmeyer (SPD) zwar nicht gehen, doch auch sie finden deutliche Worte. Eine „Mogelpackung mit fatalen Folgen für die bremischen Häfen“ nennt Böhrnsen den Richtlinienentwurf, im „tiefsten Hafenbecken versenken“ will ihn gar Beckmeyer. Der Bund und die Küstenländer lehnen den Entwurf einhellig ab, lediglich ein Teil der CDU-Europaparlamentsfraktion tritt vehement für ihn ein.
Auf der Bühne in Bremerhaven wetterte ein Sprecher von ver.di gegen „internationale Konsortien“, die - ganz im Gegensatz zu ihren deutschen Konkurrenten „keinerlei Verantwortung für den deutschen Arbeitsmarkt, für Jobs und für Zukunft“ zu übernehmen bereit seien. Riesige Monopolgewinne würden derzeit in ostasiatischen Häfen erwirtschaftet – durch Lohn- und Qualitätsdumping, ohne dass europäischen Unternehmen Zugang zu diesen Märkten gewährt würde, klagt der Gewerkschafter. Und mit eben diesen Gewinnen würden nach Inkrafttreten von Port Package II ostasiatische Terminalbetreiber die heimische Konkurrenz das Fürchten lehren.
Michael Blanke von der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF) teilt diese Enschätzung. Durch die Bolkenstein-Richtlinie sei es Wettbewerbern künftig möglich, osteuropäische Arbeitskräfte zu den dortigen Niedriglöhnen gegen ihre Kollegen auf deutschen Häfen in Stellung zu bringen - mit unabsehbaren Folgen.
Marika L. ist skeptisch. Kürzlich, so erzählt sie, habe Mercedes die Entlassung eines Fahrers durchgesetzt, weil dieser beim Manövrieren das Autoradio eingeschaltet habe. Aufgrund der hohen Ansprüche der Autofirmen, so die Hoffnung, hätten die deutschen Arbeiter möglicherweise gar nicht so schlechte Karten. Christian Jakob