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Archiv-Artikel

Regierungssturz als Wahlkampfmanöver

Mit der Entlassung der ukrainischen Regierung bringen sich die Parteien zehn Wochen vor den Parlamentswahlen in Stellung. Die Folgen sind derzeit noch unklar. Die juristische Lage ist total verworren, das Verfassungsgericht jedoch arbeitsunfähig

AUS LWIW JURI DURKOT

Die Zeichen stehen auf Wahlkampf – in dieser Einschätzung sind sich die ukrainischen Beobachter nach der Entlassung der Regierung durch das Parlament am vergangenen Dienstag einig. Über die möglichen Folgen dieser Entscheidung gehen die Meinungen weit auseinander. Bereits in seiner ersten Sitzung nach der Weihnachtspause und dem Inkrafttreten der Verfassungsreform hat das Parlament seine Muskeln spielen lassen. Die erweiterten Befugnisse nutzten die Abgeordneten sofort – der Kompromiss mit Russland über die Gaslieferungen lieferte nur den willkommenen Anlass.

„Das ist eine deutliche Verschärfung der innenpolitischen Situation und wird den Wahlkampf sicher beeinflussen“, meint Juri Jakimenko vom Kiewer Rasumkow-Zentrum für wirtschaftliche und politische Studien. Vertreter der Regierungsfraktion „Nascha Ukraina“ sprachen von Rache und Verrat seitens der Oligarchenfraktionen und Kommunisten. Dahinter stehe womöglich sogar Russland.

In der Tat sind die ukrainischen Wirtschaftsgruppen, deren Lobby das Parlament nach wie vor dominiert, mit dem Kompromiss sehr unzufrieden. Steigende Gaspreise werden ihre Gewinne drücken, der Haushalt dagegen wird von höheren Transitgebühren profitieren. Bei den niedrigen Gaspreisen hatten die Oligarchen keinen Bedarf, in die Modernisierung ihrer energieintensiven Anlagen zu investieren.

Die Opposition behauptet, dass die Regierung ein für die Ukraine ungünstiges Abkommen unterzeichnet habe und das Problem der Gaslieferungen nicht zufriedenstellend lösen konnte. „Die Regierung Jechanurow hat die Politik der Regierung Timoschenko fortgesetzt“, sagte Expremier Wiktor Janukowytsch. Interessanterweise hat aber gerade Julia Timoschenko die Regierung nicht nur scharf kritisiert, sondern auch die Fäden gezogen, um das Kabinett zu stürzen. Die Regierung habe die nationalen Interessen verraten, sagte die Politikerin.

Dass nationale Interessen in der Ukraine zu Wahlkampfzeiten nicht selten den Partikularinteressen einzelner Parteien und Politiker geopfert werden, ist nicht neu. „Wir haben gesehen, wie verschiedene politische Kräfte sich leicht gegen den Präsidenten vereinigen“, meint der Chef des Kiewer Instituts für Meinungsforschung, Ukrainski Barometr, Wolodymyr Neboschenko. „Es ist klar geworden, dass Timoschenko sich von Juschtschenko endgültig entfernt hat und bereit ist, sich auf eine Allianz mit jeder politischen Kraft einzulassen, um einen Anteil am Machtkuchen zu bekommen.“

Die juristische Lage ist derzeit unklar. „Nascha Ukraina“ und einige Experten weisen darauf hin, dass die Abstimmung nichtig sei, weil die Abgeordnete gegen mehrere Artikel der Verfassung verstoßen hätten. Die Opposition besteht dagegen auf der Rechtmäßigkeit des Beschlusses und spricht von einem Denkzettel für die Regierung.

Das Verfassungsgericht, das dazu berufen ist, über solche Konflikte zu richten, ist arbeitsunfähig. Bisher weigerte sich das Parlament hartnäckig nicht nur, neue Verfassungsrichter zu benennen, sondern auch den durch den Präsidenten und den Richterkongress bereits berufenen Richtern den Eid abzunehmen.

Praktische Folgen wird die Entscheidung des Parlaments wohl keine haben, hier sind sich die Experten einig. Die Regierung wird ihre Geschäfte bis zu den Parlamentswahlen am 26. März weiterführen. Vorgezogene Parlamentswahlen sind eher unwahrscheinlich. Eine Meldung, dass der Präsident über die Auflösung des Parlaments nachdenke, wurde dementiert.