: Hornhaut ums Gemüt
Wer hat sich Sonntach richtich ausjeaalt? Und wer verschenkt Stimmungsjemüse? Um Neuberlinern den Einstieg in die Sprache der Hauptstadt zu erleichtern, hat der Dudenverlag zu seinem 125-jährigen Bestehen einen Berlin-Duden herausgebracht
von CRISTIANE RÖSINGER
Frisch Zugezogene hatten es in Berlin schon immer schwer, und wer womöglich noch mit einer markanten regionalen Sprachfärbung gesegnet war, musste schlimme Monate durchmachen, bevor er akzeptiert wurde.
Denn obwohl – zumindest im alten Westberlin – ja alle anderen auch Zugezogene waren, begannen die Exbadener, -schwaben und -hessen nach kaum drei Wochen stark zu berlinern. Das Pseudoberlinische wurde dann bei geselligen Anlässen manchmal so stark übertrieben, dass es im Zuge des eifrigen Icke-, Wees-ick-nich- und Stulle-Gebrauchs sogar zu Stilblüten wie „Wat denkst'n ducke?“ kommen konnte. Hinter dem vorauseilendem Berlinern stand damals und steht ja auch heute noch nichts anderes als der Wunsch des Neuberliners, endlich in der Stadt angekommen zu sein.
Für Menschen, die auf Nummer sicher gehen wollen, wenn sie in der gepflegten Konversation ab und zu ein Berliner Bonmot oder einen interessanten Berlinismus einstreuen möchten, gibt es jetzt den Berlin-Duden. Im vergangenen Jahr feierte der Dudenverlag sein 125-jähriges Bestehen und brachte zum Jubiläum in Kooperation mit dem Tagesspiegel einen speziellen Duden für Berlin heraus – eigentlich ein ganz normaler kleiner Duden auf Grundlage der neuen amtlichen Rechtschreibregeln mit 47.000 Stichwörter. Zusätzlich ist aber ein 50-seitiger, farblich hervorgehobener und mit Bärchen geschmückter Sonderteil in das Wörterbuch eingebunden, der rund 2.000 typische Berliner Ausdrücke und Redewendungen versammelt.
Das fängt an mit a wie „aalen“, was sich von der „schlängelnden Bewegung des Aals“ herleitet und „sich faul räkeln und strecken, sich ausruhen“ bedeutet – kurz: „ick hab ma uffn Sonntach richtich ausjeaalt“. Und es endet unter z mit dem Eintrag: „zwitschern (vom Vogelgezwitscher, in Anspielung darauf, dass Alkohol gesprächig macht): Alkohol trinken: Jetzt jehn wa erst mal eenen zwitschern.“
In der Einleitung werden Geschichte und Besonderheiten des Berlinischen aufgeführt. Zur Basis des Niederdeutschen kamen Worte und Ausdrücke, die von Zuwanderern mitgebracht wurden. „Französische Wortkaskaden, jüdischer Witz, intellektueller Esprit und der Gassenjargon der Arbeiter“ machen laut Berlin-Duden das Berlinische aus. Aber auch die Preußenkönige, ihre Beamten und Offiziere finden sich in vielen berlinischen Wortschöpfungen wieder.
Zu Mauerzeiten entwickelte sich der Berliner Dialekt zwangsläufig in sehr unterschiedlichen Richtungen. Im Ostteil der Stadt wurde in allen Bevölkerungsschichten gegen die sächsische Übermacht im Partei-und Staatsapparat der DDR anberlinert, im Westteil wollte man sich weltoffen zeigen – berlinern galt als provinziell .
Manches aus dem Berlin-Duden klingt allzu folkloristisch, nach Juhnke-Sketch, nach Leierkasten und Hinterhofidylle. Wer sagt wohl jemals noch „Der hat ne Hornhaut ums Gemüt!“ oder bringt „Stimmungsjemüse“ oder „Besuchsbesen“ statt Blumen mit? Umfragen unter echten Berlinern ergeben jedoch, dass recht exotisch anmutende Redewendungen, wie „Bei mir haste Trauer“ für ein harsches „Nein“ auf Berliner Schulhöfen, heute noch verbreitet sind.
Die aufgeführten Neuberlinismen wie „Fummel“ und „ausgeflippt“ wirken dagegen recht altbacken; und wer in aller Welt nennt ein Kind, das trotz Empfängnisverhütung gezeugt und geboren wurde, neuberlinisch „Tropikind“ – Trotz-Pille-Kind?
Als „ostberlinisch ironisch“ werden „Erichs Lampenladen“, „Ballast der Republik“ und „Asphaltblase“ für DDR-Kleinwagen aufgelistet. Und natürlich dürfen die berühmten Architekturspitznamen, die der Berliner angeblich seinen Gebäuden gibt, nicht fehlen.
So ist der Berlin-Duden ein nützliches Nachschlagewerk für den Stadtbewohner – und auch eine Hilfe für den Umgang mit ebenjenem Stadtbewohner. Wenn der solchermaßen aufgeklärte Neuberliner dann wieder einmal typisch berlinisch-unfreundlich angepflaumt wird, hat er nun, dank Duden, stets eine heitere Erwiderung in petto: „Du hast woll lange nich mit'n verbundenen Kopp aus'm Charitéfenster jekiekt!“.
„Der kleine Duden – Deutsches Wörterbuch“. Sonderausgabe Berlin, Mannheim 2005, 11 €