Brich ihnen einfach ihre verdammten Knochen, Jack!
In der heute anlaufenden vierten Staffel der US-Serie „24“ wird Protagonist Jack Bauer wieder Terroristen foltern. Elfriede Jelinek und linke Redakteurinnen freuen sich schon
VON STEFAN KUZMANY
Das ist kein Spaß jetzt. Der Mann reißt ein Stromkabel von einer Lampe und hält dem anderen die blanken Drähte vor die Augen. Der sitzt gefesselt auf einem Stuhl.
„Was weißt du?“
Der andere bleibt stumm.
„Was weißt du?“
Der Mann reißt dem anderen das Hemd auf. Er berührt den anderen mit den blanken Stromkabeln an der Brust, knapp unter dem Herzen. Ein Stromschlag durchfährt den anderen. Er schreit. Die Ehefrau des anderen schreit auch. Sie kann den Anblick nicht ertragen.
„Jack, hör auf!“
Aber Jack Bauer hört nicht auf. Jack macht weiter. Er betreibt es jetzt schon im fünften Jahr, das Foltern und Töten, kurz: die Rettung der Vereinigten Staaten von Amerika. Jack Bauer, dargestellt von Kiefer Sutherland, ist die Hauptfigur der überaus erfolgreichen US-Fernsehserie „24“. Sutherland, lange Zeit hauptsächlich bekannt als Sohn von Donald Sutherland sowie als Darsteller in dem spannenden Medizinthriller „Flatliners“, war eigentlich ziemlich weg vom Fenster: Kein guter Film mehr, die Beziehung mit „Pretty Woman“ Julia Roberts gescheitert, angebliche Alkohol- und Drogenprobleme, ein durchschnittlich gescheiterter Hollywood-Fatzke.
Dann erlebte er vor gut vier Jahren ein geradezu unglaubliches Comeback in der Rolle des Agenten Jack Bauer in „24“. Die vielfach ausgezeichnete Serie, versierten TV-Konsumenten längst ein Begriff, dreht sich um eine fiktive US-Behörde: die „Counter Terrorist Unit“ (CTU), eingesetzt zur Verhinderung von terroristischen Anschlägen auf dem Boden der USA. 24 Folgen hat jede Staffel, jede Folge ist eine Stunde lang und beschreibt exakt den Ablauf dieser Stunde, so dass am Ende der Staffel genau ein Tag vergangen ist.
Schlimme Tage in Los Angeles
Es sind alptraumhafte Tage: In der ersten Staffel wollen Balkan-Killer einen Präsidentschaftskandidaten ermorden, gleichzeitig werden Bauers Frau und Tochter entführt. In der zweiten Staffel drohen Terroristen, eine Atombombe über Los Angeles zu zünden. In der dritten muss Bauer seine Heroinsucht überwinden und gleichzeitig die Ausbreitung eines tödlichen Virus verhindern. Die heute in Deutschland anlaufende vierte Staffel (RTL II, 20.15 Uhr) beginnt mit der Entführung des amerikanischen Verteidigungsministers – er soll vor laufenden Internet-Kameras von einem islamistischen Standgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet werden. Und das ist erst der vergleichsweise harmlose Anfang.
In den USA startet am Sonntag die fünfte Staffel. Inhalt: streng geheim. Beziehungsweise: offensichtlich. Jack wird wieder einmal mit großer Härte und Brutalität vorgehen, Fingerknochen brechen, Menschen in den Kopf schießen, Geständnisse herausprügeln. „Ein Typ muss von hier nach da gelangen und etwas Bestimmtes schaffen. Wenn ihm das nicht innerhalb von 24 Stunden gelingt, wird etwas Schreckliches passieren.“ – So hat es Kiefer Sutherland selbst einmal erklärt. Die Frage für den dem Sog der Spannung und Gewalt verfallenen Konsumenten ist nur: Was wird passieren? Wann? Wen wird Bauer mit Schüssen, Kopf- und Stromstößen sowie Wahrheitsdrogen diesmal traktieren? Egal. Jack ist cool.
Gewalt im Fernsehen: War das nicht dieses seltsame Unterschichtphänomen? Schlecht ausgebildete Jungs ohne Aussicht auf Zukunft ziehen sich ein Gewaltvideo nach dem anderen rein und laufen dann in die nächste Schule, um dort ein Massaker anzurichten? Bei „24“ scheint es sich anders zu verhalten. Es scheinen gerade jene fasziniert zu sein von dieser ultrapatriotischen Gewaltorgie um Kiefer Sutherland, die im „richtigen Leben“ jeden gewaltsamen Übergriff der USA verurteilen, die abends besorgt über die Entführungen von Terrorverdächtigen, geheime Verhör- und Folterzentren und das unmenschliche Gefangenenlager von Guantánamo Bay diskutieren.
Brutale linke Redakteurinnen
Und so kann es dem Mitarbeiter einer linken Tageszeitung passieren, dass er zunächst mit einem Kollegen eine Schwerpunktseite über die Folterdiskussion in den USA spricht, dieser Kollege aber im nächsten Moment von seinem klingelnden Mobiltelefon abgelenkt wird, und das Telefon klingelt wie die Telefone der CTU, er hat sich den Klingelton extra installiert. Es ist aber nicht der US-Präsident dran, der ihn zum nächsten Einsatz schickt, sondern doch nur seine Freundin. So kann es passieren, dass man in einer Jury sitzt zur Vergabe eines Preises für Zivilcourage und sich, aber bevor die Sitzung eigentlich losgeht, die Moderatorin eines linken TV-Magazins begeistert mit einer linken Zeitungsredakteurin über die Serie und ihren Suchtcharakter austauscht (die linke Moderatorin hat die neueste Staffel nämlich schon aus den USA zugeschickt bekommen!).
Da kann man verwundert zur Kenntnis nehmen, dass selbst eine Nobelpreisträgerin für Literatur dem Terrorkrimi schon erlegen ist: „24“, das sei „wie permanentes Vögeln, ohne je zum Orgasmus zu kommen“, wurde die Schriftstellerin Elfriede Jelinek im Stern zitiert. Auch nicht schlecht.
Nun kann wohl niemand behaupten, dass Kiefer Sutherland alias Jack Bauer ein über die Maßen attraktiver Mann sei, schon gar nicht in seiner Rolle als privat völlig desillusionierter Witwer, auf Dauer beziehungsunfähig und mit einer halbwegs überwundenen Drogenkarriere in der Biografie. Niemand wird zugeben, dass er Spaß an den höchst realen und nie ausgeblendeten Verhör- und Folterszenen hat oder mit Freude betrachtet, wie ein Arzt mit vorgehaltener Waffe gezwungen wird, von einem schwer verletzten Intensivpatienten abzulassen, nur um einen wichtigen Zeugen wieder zusammenflicken zu müssen. Und nur wenige werden sich wirklich mit Sympathie die Telefonate anhören, die Jack regelmäßig mit dem „Potus“ persönlich führt, um sich die grausamsten Aktionen von höchster Stelle, quasi per Führerbefehl, absegnen zu lassen.
In einem jüngst im britischen Guardian erschienenen Artikel fährt der Direktor des Londoner Birkbeck-Instituts für Geisteswissenschaften, Slavoj Zizek, schweres Geschütz auf: Bauer und Kollegen seien die modernen Himmlers. Sie täten Widerliches und wüssten um diese Widerlichkeit, aber sie täten es trotzdem für die große Idee. Sie handelten mit innerer Distanz – so wie die Diensthabenden in den deutschen Konzentrationslagern. Zizek schließt, Hannah Arendt zitierend: Die Tatsache, dass die Nazi-Schergen beziehungsweise CTU-Agenten ihre Normalität bewahren, während sie ihre durchweg grausamen Taten ausführen, sei der ultimative Beweis für ihre moralische Verrohtheit – die Unterstellung der Serie, ein Folterer zu sein und doch ein guter Mensch bleiben zu können, sei ihre größte und einfach unfassbare Lüge.
Und dennoch packt „24“ zu. Während wir gebannt auf den Bildschirm starren wie Zeugen eines Autounfalls, ist Jack Bauer ein Mann der unbedingten Tat. Jack Bauer ist kein schöner Mann, dafür ist umso charismatischer. Sein Handeln ist nur durch eine höhere Moral zu rechtfertigen: Er muss jetzt töten, damit nicht im nächsten Moment Hunderttausende sterben müssen. Wir, die vor den Bildschirmen versammelten kritischen Zuschauer, erteilen Bauer, dem prototypischen Amerikaner sozusagen, immer wieder Absolution, da wir das Geschehen allein aus seiner Perspektive betrachten, einer radikalen Perspektive. Der Reiz von „24“ ist nicht nur die durch die Bank spannende Handlung und die stets tickende Uhr. Diese Serie macht an, weil sie dem Zuschauer Angst macht – Angst vor sich selbst.
Vergiss doch Michael Moore
Ziemlich am Anfang der heute in Deutschland startenden Staffel schimpft der US-Verteidigungsminister mit seinem entfremdeten, friedensbewegten Sohn: „Erspare mir deine Michael-Moore-Logik!“ Über diesen ironischen Kommentar der Serienproduzenten an ihr linkes Publikum kann man noch lachen. Viele Folgen später taucht ein Vertreter der nicht ganz so fiktiven Menschenrechtsorganisation Amnesty Global in der CTU auf, um einen Terrorverdächtigen zu befreien. Drücken wir dem Menschenrechtler die Daumen, damit er die Rechte des Inhaftierten durchsetzen kann?
Nein. Der Menschenrechtler nervt einfach nur. Bauer, unter Druck, muss den Verdächtigen zunächst freilassen. Aber er lässt sich nur zum Schein auf den Handel ein: Auf dem einsamen Parkplatz schließlich lauert er ihm auf und bricht ihm – ohne große Diskussion – erst mal einen Arm, um die amerikanische Zivilisation vor dem Untergang zu retten. Und wir flüstern: Mach weiter, Jack.