: Unter Hasspredigern
STREIT Im Feuilleton tobt eine Debatte über „Islamkritiker“ wie Henryk M. Broder. Dabei geht es um die Frage: Wer hat die Deutungshoheit?
VON DANIEL BAX
Ist Henryk M. Broder ein Hassprediger? Das Schweizer Plebiszit für ein Minarettverbot hat mit einer gewissen Verzögerung auch in Deutschland eine Debatte in Gang gebracht. Sie dreht sich um antimuslimische Ressentiments und prominente Islamgegner wie Henryk M. Broder und Necla Kelek. Darüber streiten sich die Feuilletons der Republik derzeit in ungewöhnlich scharfem Ton, wobei die Fronten quer durch so manches Verlagshaus und so manche Zeitungsredaktion gehen.
Den Auftakt machte in der Zeit Thomas Assheuer, der Henryk M. Broder und Ayaan Hirsi Ali einen „Aufklärungsfundamentalismus“ vorwarf, weil sie das Schweizer Minarettverbot begrüßten. Ihm folgte Claudius Seidl in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, der die von Broder, Hirsi Ali und Kelek betriebene Gleichsetzung von Islam und Islamismus als Demagogie kenntlich machte. Und in der Süddeutschen schrieb deren Feuilletonchef Thomas Steinfeld, dass die Beschwörung westlicher Werte offenbar „ihre eigenen Hassprediger“ hervorbringe, die der autoritären Vision einer „Zwangsmodernisierung“ der Muslime nachhingen – ein Konzept, das übrigens schon im Nahen Osten nicht aufgegangen sei, wo die autoritären Regimes den radikalen Islamismus ja gerade erst hervorgebracht hätten.
Populäres Mantra
Die Antwort der Angegriffenen ließ nicht lange auf sich warten. In der Frankfurter Allgemeinen warf Necla Kelek ihren Kritikern vor, keine Ahnung vom „System Islam“ zu haben. „Dass der Islam Glaube und Politik ist, überfordert offensichtlich die Vorstellungskraft vieler Westeuropäer“, schrieb sie. Und Henryk M. Broder mutmaßte im Berliner Tagesspiegel, der Grund für die Vorwürfe gegen ihn wie gegen Kelek sei, dass ihnen beiden angeblich der „Stallgeruch“ des deutschen Feuilletons fehle. Dass sich ausgerechnet Broder nun plötzlich als verfolgte Unschuld geriert, ist schon absurd. Schließlich vergeht kaum ein Tag, an dem er nicht in irgendeiner Talkshow, im Spiegel, auf Spiegel Online, im Tagesspiegel oder in der Welt zu Wort kommt – demnächst soll er in der ARD sogar eine eigene Sendung bekommen.
Mit ihrem Mantra, der Islam sei eine Religion der Gewalt und der Intoleranz, haben sich die Bestsellerautoren Kelek und Broder einen Namen gemacht, viel Geld verdient und Preise eingeheimst. Da sollten doch ein paar Nachfragen erlaubt sein: etwa, worauf die beiden sendungsbewussten Publizisten ihr Urteil stützen – außer auf ein Potpourri willkürlich zusammen getragener Fakten und Halbwahrheiten, die sie in ein ideologisch festgezurrtes Weltbild fügen. Für wen die beiden eigentlich sprechen außer für sich selbst – und für jene Zeitungen, die so gerne ihre Texte drucken, sowie jenes Publikum, das ihnen dankbar applaudiert. Und nicht zuletzt, auf welchem Wege sie ihr Projekt einer „Eindämmung“ des Islam gerne umgesetzt sehen möchten.
Denn die „westlichen Freiheitswerte“, die Kelek und Broder so vehement verteidigen, sollen für gläubige Muslime nur eingeschränkt gelten. Beide haben sich zum Beispiel gegen den Bau der Moschee in Köln ausgesprochen, wobei Broder eine Art Tauschgeschäft vorschlug: Erst wenn im saudischen Riad Kirchtürme und bauchfreie Tops zugelassen wären, solle man bei „uns“ Moscheen und Minarette erlauben. Das nannte Claudius Seidl ganz treffend einen „Rassismus, der sich seiner selbst nur nicht bewusst ist“.
Die große Popularität, die Necla Kelek als „Islamkritikerin“ in Deutschland genießt, beruht dabei auf einem doppelten Missverständnis. Ihre Fans und Verehrer glauben, in ihr eine „authentische Stimme“ gefunden zu haben, die den Islam aus persönlich schmerzhafter Erfahrung heraus kenne und nun quasi „von innen“ heraus kritisiere.
Das ist zwar Quatsch, schließlich ist ja auch ein Deutscher nicht allein aufgrund seiner Herkunft schon ein Experte für das Christentum oder die Geschichte Europas. Doch im Fall von Necla Kelek, Seyran Ates, Ayaan Hirsi Ali oder dem Ägypter Hamed Abdel-Samad, dem neuen Shootingstar der populären „Islamkritik“, verfängt dieser Authentizitätsmythos, der durch ein geschicktes Biografiemarketing gefüttert wird. Von ihren Bewunderern wird ihnen deshalb eine größere Kompetenz und Autorität zugesprochen als vielen Wissenschaftlern und Experten.
Eine eigene Ideologie
Hinzu kommt das Missverständnis, Necla Kelek & Co würden eine unbequeme oder gar unterdrückte Meinung über den Islam vertreten. Dabei ist ihre Meinung nicht nur für viele Deutsche sehr bequem, können sie sich doch in ihren Vorurteilen bestätigt fühlen. Doch auch für Muslime bieten sie wenig Neues. Denn die Ansicht, für die Rückständigkeit der Muslime sei vor allem der Islam verantwortlich zu machen, ist in den meisten islamischen Ländern seit der Kolonialzeit nur allzu bekannt. Diese Überzeugung brachte Staatslenker wie den türkischen Staatsgründer Kemal Atatürk, den Schah von Persien oder arabische Generäle wie Gamal Abdel Nasser einst dazu, für ihre Länder eine möglichst weitreichende Säkularisierung und Verwestlichung von oben anzustreben.
Wer die Türkei kennt, der kennt deshalb auch den paternalistischen Tonfall, mit dem Necla Kelek über religiöse Muslime spricht. In diesem Ton spricht das alte, säkulare Bürgertum in Ankara, Izmir oder Istanbul über das einfache Volk, das es für einen einfältigen und religiös verblendeten Pöbel hält, den es am liebsten von der Demokratie ausschließe würde. Und dieser Herrschaftsdiskurs ist auch in arabischen Ländern verbreitet, nicht wenige Diktatoren verteidigen damit ihre Vormachtstellung. Wer diesen Snobismus für subversive Religionskritik hält, der weiß nichts von der muslimischen Welt.
In Europa mischt sich dieser säkulare Überlegenheitsdiskurs mit alten, tief sitzenden Ängsten vor dem Islam. Nicht zufällig hat ein großer Teil der hiesigen „Islamkritik“ weniger Ähnlichkeiten mit moderner, rationaler Religionskritik als mit der christlichen Islampolemik des Mittelalters, die im Islam lange Zeit nicht mehr als eine gefährliche Häresie erblickte. Unter dem Eindruck der muslimischen Einwanderung nach Europa ist aus diesem Ressentiment in den letzten Jahren einer eigene Ideologie erwachsen, die vor allem in rechten Internetblogs wuchert und deutliche Parallelen zum klassischen Antisemitismus aufweist, wie der Antisemitismusforscher Wolfgang Benz fest gestellt hat.
Diese Parallelen lassen sich an mehreren Punkten festmachen: Da ist zum einen das Angstbild von der demografischen Unterwanderung, dass der Bundesbanker Thilo Sarrazin (SPD) auf die prägnante Formel brachte, die Türken eroberten Deutschland „genauso, wie die Kosovaren das Kosovo erobert haben: durch eine höhere Geburtenrate“. Dieses Szenario gipfelt in der Schreckensvision einer kulturellen Überfremdung, der „Islamisierung Europas“. Wie Deutschland im Jahre 2067 aussehen könnte, malte sich Broder einmal auf Spiegel Online aus: „Der Bundespräsident heißt Mahmoud Watan-Sadr, Pornokinos und Strip-Bars sind verboten“, während Kirchtürme nicht höher als Moscheen gebaut werden dürfen. War aber sicher nur ein Witz. Und im Hintergrund lauert natürlich eine Verschwörung – wobei sich die Paranoiker noch uneins sind, ob die Drahtzieher hinter der „Islamisierung“ nun in Saudi-Arabien (Necla Kelek), in der ägyptischen Muslimbruderschaft (Udo Ulfkotte) oder in der „Organisation der Islamischen Konferenz“ (Thierry Chervel im Perlentaucher) zu finden sind.
Mehr Empirie bitte
Diesen Wahnvorstellungen zugrunde liegt die Idee, der Islam sei eine quasi unveränderliche Kultur und Muslime bildeten eine eigene Menschengattung, eine Art „Homo islamicus“. Dieser „ewige Muslim“, wie ihn seine Gegner zeichnen, unterdrückt seit jeher Frauen und hat eine Affinität zu jeder Form von Gewalt.
Die Vorstellung, erst im islamistischen Terror komme der Islam zu sich selbst, ist zwar so töricht wie die Ansicht mancher Islamisten, in den Kreuzzügen oder im Irakkrieg habe das Christentum seinen reinsten Ausdruck gefunden. Sie ist aber offenbar so fest im europäischen Bewusstsein verankert, dass es kaum noch jemandem auffällt, wenn Henryk M. Broder die Jugendgewalt an der Rütli-Schule und den Terror der Hamas beides zusammen mal eben auf den Islam zurück führt.
Was bräuchte die Islam-Debatte, damit sie sich nicht ständig im Kreis der immer gleichen Vorurteile dreht? Mehr Empirie. Denn die meisten Umfragen, wissenschaftlichen Studien und statistischen Daten über Muslime in Deutschland widerlegen die vielen Klischees, die Islamgegner wie Necla Kelek und Henryk M. Broder so gerne pflegen. Mehr Expertise. Viel zu oft werden Wissenschaftler, die sachlich zum Thema Integration und Islam arbeiten, von Broder und seinen Freunden mit Häme überzogen.
Nicht wenige von ihnen sind deshalb mit ihren Wortmeldungen vorsichtiger geworden. Und mehr Pluralismus: Die meisten Muslime in Deutschland haben kein Problem damit, ihren persönlichen Glauben mit dem Grundgesetz oder dem Leben in Deutschland in Einklang zu bringen. Sie sollten in diesen Debatten mehr Gehör finden, gerade weil sie nicht bloß einer interessierten Öffentlichkeit nach dem Mund reden. Denn schließlich geht es angeblich um sie.