: Ausschalten, festnehmen
Die Kritik an den Praktiken der CIA ist erfreulich. Doch sie lenkt davon ab, dass die Bundeswehr am Antiterrorkrieg der USA ganz offiziell beteiligt ist
Das politische Berlin ist derzeit seltsam voll mit zutiefst betroffenen Akteuren. Plötzlich gilt es als politisch opportun, die US-amerikanischen Praktiken im so genannten Antiterrorkrieg möglichst deutlich abzulehnen. Selbst die Bundeskanzlerin sah sich genötigt, vor und während ihres Antrittsbesuchs bei US-Präsident George W. Bush sanfte Kritik an der rechtsfreien Zone Guantánamo zu üben.
Das ist erfreulich. Und jedes Detail der direkten oder indirekten Unterstützung für Verschleppungen, Folter und jahrelange Haft ohne Gerichtsverfahren muss aufgeklärt werden. Doch das plötzlich bekundete Entsetzen macht stutzig. Denn die Existenz des Lagers Guantánamo und die dort praktizierten Menschenrechtsverletzungen sind seit Jahren bestens dokumentiert.
Jenen, die sich heute so betroffen zeigen, scheint dies über vier Jahre lang völlig entgangen zu sein. Und nicht nur das. So manche haben offenbar nicht einmal ihre eigenen Beschlüsse gelesen – oder verstanden. Denn es ist ja nicht nur der BND, durch den sich Deutschland, wie offenbar im Irak geschehen, an einem Krieg der US-Regierung beteiligt.
Als Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble in der CIA-Debatte Mitte Dezember im Bundestag beiläufig eingestand, dass deutsche Beamte einen Gefangenen in Guantánamo verhört haben, erinnerte er die Abgeordneten daran, dass für die Nato weiterhin der Beistandsfall gemäß Artikel 5 des Nato-Vertrags gilt. Diese Lage gelte es bei der Kritik an Folter und Verschleppungen zu berücksichtigen.
Nicht mit den Schlussfolgerungen hat Schäuble Recht, wohl aber mit dem Hinweis, dass sich Deutschland seit November 2001 formell im Kriegszustand befindet. Erst Anfang November hat der Bundestag das Mandat für die deutsche Teilnahme am Antiterrorkrieg abermals um zwölf Monate verlängert. Das Parlament akzeptiert damit, dass die US-Regierung auch vier Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 das Selbstverteidigungsrecht unter Artikel 51 der UN-Charta in Anspruch nimmt, um weltweite militärische Interventionen und gravierende Menschenrechtsverletzungen zu rechtfertigen.
Mit großem Pathos und moralischen Appellen, vor allem aus dem Lager der alten rot-grünen Koalition, hatten die Befürworter einer Mandatsverlängerung bei dieser Gelegenheit erklärt, wie die Bundeswehr durch ihre Teilnahme an der Operation „Enduring Freedom“ zur Verbreitung von Frieden, Demokratie und Menschenrechten beitrage.
Mit dem festgeschriebenen Auftrag der Bundeswehr innerhalb von „Enduring Freedom“ hat all dies allerdings wenig zu tun. Denn so vordemokratisch die restriktive Informationspolitik der Bundesregierung über die Einsätze der KSK-Truppen auch ist, das Mandat der Bundeswehr für den Antiterrorkrieg ist nicht geheim. Die Operation „hat zum Ziel, Führungs- und Ausbildungseinrichtungen von Terroristen auszuschalten, Terroristen zu bekämpfen, gefangen zu nehmen und vor Gericht zu stellen sowie Dritte dauerhaft von der Unterstützung terroristischer Aktivitäten abzuhalten“. So hat es der Bundestag beschlossen.
Da sind also irgendwo in Afghanistan KSK-Einheiten unterwegs, um gemeinsam mit ihren US-Kollegen Ausbildungslager „auszuschalten“, Terroristen zu „bekämpfen“ und „Dritte“ „dauerhaft“ davon abzuhalten, Terroristen zu unterstützen. Um zu glauben, dass dabei alles ganz korrekt nach den Regeln des humanitären Kriegsvölkerrechts abläuft, bedarf es schon einer gehörigen Portion Naivität.
Unbestreitbar aber ist: Die Bundeswehr wird ausdrücklich dazu ermächtigt, sich an der Gefangennahme vermeintlicher Terroristen zu beteiligen. Für ordentliche Gerichtsverfahren, wie im Mandat ebenfalls gefordert, hat sie aber offenkundig nie gesorgt. Stattdessen gilt offiziell die kryptische Formel, dass Handlungsanweisungen an die Bundeswehr keine „Überstellungen“ von Personen an die USA vorsähen. Ob die Bundesregierung anderen Staaten Gefangene überstellt hat oder überstellen würde, lässt sie dabei offen.
Vor allem aber bleibt die Frage unbeantwortet, inwieweit deutsche Truppen – was sehr viel wahrscheinlicher ist – durch die Unterstützung von US-Spezialkommandos zur Festnahme späterer Guantánamo-Häftlinge beigetragen haben. Nach allem, was über die KSK bekannt ist, agiert sie bei solch heiklen Aufträgen ausschließlich im Verbund mit US-Streitkräften. Ob der formelle Akt der Festnahme dann von einer Einheit der Bundeswehr oder der US-Streitkräfte vorgenommen wird, ist belanglos.
Der Bundestag hat nicht nur der Bundeswehr das Mandat erteilt, Gefangene zu machen, ohne jemals Rechenschaft darüber zu verlangen, was in der Folge mit den Internierten geschieht. Ein Blick auf die Liste der Staaten, mit denen sich Deutschland da in der Operation „Enduring Freedom“ zusammengetan hat, lässt auch die Empörung über Verschleppungen und Folter in einem anderen Licht erscheinen. Was die PR-Abteilung des federführenden US-Zentralkommandos (Centcom) stolz als „größte jemals gebildete Koalition“ anpreist, ist eine Allianz auch mit solchen Staaten, die in der deutschen Debatte um CIA-Verschleppungen zu Recht als Folterstaaten bezeichnet werden.
So richtig stolz auf diese Waffenbrüderschaft scheint die Bundesregierung inzwischen nicht mehr zu sein. Ende 2001 ließ die Bundeswehr noch stolz verbreiten, dass sie im Centcom-Hauptquartier in Florida wegen der „Enduring Freedom“-Teilnahme in der ersten Reihe sitzen darf. Schließlich wurde für die deutsche Kriegsbeteiligung damals auch mit dem Argument geworben, so gewinne Deutschland Einfluss auf das Vorgehen der USA. Seit Beginn der deutschen CIA-Diskussion betont die Bundesregierung lieber, dass es sich nur um eine „Verbindungsmission“ handele, deutsche Offiziere also nicht an den Centcom-Planungen mitwirkten. Vom wichtigen Verbündeten stuft sich die Bundesrepublik so flugs zum Beobachter ohne Einfluss herunter.
Doch solange sich Deutschland an der Operation „Enduring Freedom“ beteiligt, ist die Bundesregierung für die dabei festgenommenen Menschen verantwortlich, die in Guantánamo und anderen rechtsfreien US-Lagern enden. Und solange Deutschland Verbündeter im Antiterrorkrieg ist, kooperiert die Bundesregierung auch mit Folterstaaten innerhalb dieser Allianz.
Selbst eine verspätete und zaghafte Kritik an Guantánamo kann nur begrüßt werden. Umso mehr, wenn diese Kritik von der Bundeskanzlerin kommt. Eine konsequente Politik ist das aber noch lange nicht. Wenn jetzt die Folgen des Antiterrorkrieges in allen politischen Lagern beklagt werden, darf das nicht damit enden, moralisch-überheblich mit dem Finger auf die US-Regierung zu deuten. Seriös und glaubwürdig ist die Kritik nur dann, wenn in der Konsequenz die deutsche Teilnahme an diesem Antiterrorkrieg beendet wird.
ERIC CHAUVISTRÉ