: Glaube, Öl und Gewalt
In Deir Azzour gibt es Öl. Wegen ihrer geografischen Lage und Ressourcen spielt die Stadt eine wichtige Rolle im syrischen Konflikt. Denn wer die marginalisierte Provinz im Osten kontrolliert, hat nicht nur die meisten Ölquellen des Landes in der Hand, sondern auch einen großen Abschnitt der Grenze zum Irak
VON GABRIELA M. KELLER
So abseitig die Stadt im Osten Syriens auch liegt, so zentral ist doch ihre strategische Bedeutung. Deir Azzour, etwa 450 Kilometer entfernt von Damaskus, ist seit knapp einem Jahr Schauplatz heftiger Kämpfe zwischen Streitkräften und Rebellen. Inzwischen liegen ganze Siedlungen in Trümmern, die meisten Menschen sind geflohen. Schätzungen zufolge sind von 750.000 Einwohnern nur 200.000 geblieben.
Die syrische Opposition hat weite Teile der Provinz eingenommen; sie kontrolliert fast das gesamte Umland und Teile der Innenstadt. Das Regime hält Anwohnern zufolge nur noch zwei Stadtviertel.
Deir Azzour zählte im Frühjahr 2011 zwar zu den ersten größeren Städten, in denen es zu Massenprotesten gegen das Assad-Regime kam. Doch lange Zeit stand die Gewalt dort im Schatten der Gefechte in den Zentren Westsyriens, vor allem den Metropolen Aleppo und Damaskus. Auch internationale Journalisten sind nur vereinzelt bis in den Osten vorgedrungen.
Jetzt allerdings geraten die Provinzhauptstadt und ihr Umland stärker in den Blickpunkt. Denn die Region entwickelt sich seit Monaten zu einem Aufmarschgebiet für militante Islamisten.
Vor allem die Nusra-Front, die mit al-Qaida verbündet ist und von den USA als Terrorgruppe eingestuft wurde, macht vehement ihren Einfluss geltend. Ihre Kämpfer gelten als militärisch deutlich effizienter als die Rebellen der Freien Armee Syriens (FSA). Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer islamistisch-salafistischer Gruppierungen.
Dass die Islamisten so stark sind, liegt auch an der Nähe zur irakischen Grenze. Al-Qaida war in dieser Region lange präsent, bevor der innersyrische Konflikt begann: Kurz nach dem US-Einmarsch im Irak 2003 wurde Deir Azzour zu einem Tor für ausländische Islamisten, die dort gegen die US-Truppen kämpfen wollten. Das Regime begünstigte ihren Transit, weil es Interesse daran hatte, die USA im Irak scheitern zu sehen. Nun sind viele der kampferprobten Dschihadisten zurück nach Syrien gekommen und beteiligen sich am Kampf gegen das Assad-Regime.
Ohnehin hängen Irak und Syrien eng zusammen. Die Region ist stark von Stammesstrukturen geprägt. Die Clans der Dschasira, dem Gebiet zwischen Euphrat und Tigris sind über die Grenze hinweg miteinander verbunden. Zwar zögern die meisten Stämme noch, ihr Gewicht hinter die Islamisten zu werfen, doch die Wut auf das Regime in Damaskus sitzt tief und reicht weit zurück. Obwohl Deir Azzour eines der wichtigsten Zentren der syrischen Ölproduktion ist, gehört die Provinz zu den ärmsten Teilen des Landes. Früher einmal galt die Region wegen des fruchtbaren Bodens am Euphrat als Brotkorb des Nahen Ostens. In den Jahren vor dem Konflikt aber dörrte die Erde immer stärker aus. Viele Bauern mussten ihr Land verlassen, weil es kaum noch etwas abwarf.
Der Konflikt hat den wirtschaftlichen Zerfall der Region beschleunigt. Längst ruht auch die Ölproduktion. Die Rebellen haben vier der fünf Quellen in der Provinz erobert; einige sind in der Hand der Nusra-Front. Doch ihnen fehlt das Fachwissen, die Anlagen zu bedienen. Sie können nur kleine Mengen abzapfen, die sie an Bedürftige verteilen oder verkaufen. Deswegen bedeutet der Zugang zu den Quellen einen erheblichen Machtfaktor, auch wenn die Vorräte eher gering sind. Anwohnern zufolge sind zwischen einzelnen Gruppen bereits Rivalitäten um die Kontrolle über das Öl ausgebrochen. * Alle Namen in den Bildlegenden wurden geändert.