: Neues Sehen im Hotel Oriental
Germaine Krull war eine Abenteurerin vom Anfang des 20. Jahrhunderts. Erst als Kriegsberichterstatterin, dann als Fotografin und Hotelmanagerin ging sie 1945 nach Indochina. Die Künstlerin Heidi Specker setzt sich zu ihrem Werk jetzt ins Verhältnis
von BRIGITTE WERNEBURG
„Lassen Sie mich nachdenken – es ist jetzt fast sechzig Jahre her …“ So beginnt Ankana Kalantananda von ihrer Begegnung mit Germaine Krull zu berichten. 1945 war die Fotografin und Fotoreporterin nach Bangkok gekommen. Zwei Jahre später übernahm sie dort das berühmte Hotel Oriental, das kriegsbedingt als Militärhauptquartier gedient hatte, und verhalf ihm wieder zu altem Glanz. Ankana Kalantananda arbeitete zu dieser Zeit an der Hotelrezeption.
Die alte Dame, wohl um die 80 Jahre alt, machte Heidi Specker im Februar 2005 ausfindig, als sie sich aufgrund eines Künstleraustausches in Bangkok aufhielt. Das Sammlerpaar Ann und Jürgen Wilde hatte sie auf Germaine Krulls Jahre in Bangkok und die Möglichkeit, dass noch Zeitzeugen leben, aufmerksam gemacht. So kam es, dass Specker die Arbeit der Fotografin, die 1927 mit ihrem Portfolio „métal“ bekannt geworden war, als Folie für ihre eigenen fotografischen und historischen Recherchen in Bangkok entdeckte.
Germaine Krull, 1897 in Wilda, Ostpreußen, geboren, studierte 1915–17 an der Lehr- und Versuchsanstalt für Fotografie in München. 1918 engagierte sie sich in der Novemberrevolution, was 1920 zu ihrer Ausweisung aus Bayern führte. Nach Stationen in Berlin, Moskau und wieder Berlin übersiedelte sie 1926 nach Paris, wo sie ein Jahr später den holländischen Dokumentarfilmer Joris Ivens heiratete. Hier publizierte sie in den Zeitschriften Voilà, Vu und Marianne und war in den wegweisenden Fotoausstellungen der Zeit wie „Fotografie der Gegenwart“, Essen 1929, „Film und Foto“, Stuttgart 1929, und „Das Lichtbild“, 1930 in München, vertreten. Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ging sie nach Brasilien und Afrika, 1945 schließlich als Kriegsberichterstatterin nach Indochina.
Dort leitete sie dann das Oriental, bis sie 1966 nach Indien ging, sich mit dem Dalai Lama befreundete und für die tibetische Flüchtlingshilfe arbeitete. Aus gesundheitlichen Gründen kehrte sie 1983 nach Europa zurück. 1985 starb sie in Wetzlar. Das allerdings ist Heidi Speckers Künstlerbuch „Bangkok. Heidi Specker. Germaine Krull“ nicht zu entnehmen, die einzige Auskunft zu Germaine Krull bilden die Erinnerungen Ankana Kalantanandas. Ihr gelingt freilich eine plastische Schilderung der professionellen Geschäftsfrau, der Abenteurerin und Dame der Gesellschaft mit besten Verbindungen und kolonialem Habitus.
Auch in den Jahren als Geschäftsführerin des Oriental fotografierte Germaine Krull viel. Allerdings betrachtete sie ihre Fotos nun eher als Souvenirs, wie sie auch Amateurfotografen und Knipser auf Reisen aufnehmen. In einem Brief an die Zeitschrift Gazette des beaux arts legte sie Ende der 70er-Jahre über diese Zäsur in ihrer Karriere als professionelle Fotografin öffentlich Rechenschaft ab. Allerdings erstellte sie in dieser Zeit auf Anregung von André Malraux ein umfassendes Archiv der thailändischen Tempelanlagen und deren Buddhafiguren.
Aus diesem Archiv wählte nun Heidi Specker für ihr Künstlerbuch 20 Abzüge aus, die sich in der Sammlung von Ann und Jürgen Wilde befinden, und setzte sie zwischen ihre eigenen Fotos aus Bangkok. Die Anlage folgt deutlich formalen Erwägungen. Heidi Specker begegnet Bangkok nicht anders als Berlin. Auch das Bild der fernöstlichen Metropole, wie es Specker entwirft, setzt sich aus den Details von Gebäudefassaden und den Einsprengseln der pflanzlichen Natur in deren steinernes Muster zusammen. Gegen das menschenleere Bild der Stadt, das nur hin und wieder, in einem Fernblick, Autos und Passanten erahnen lässt, steht das figurative Element des thronenden Buddhas, wie ihn Germain Krull vor 60 Jahren in den Tempeln des Landes fand.
Über Germaine Krulls Rolle als einer maßgeblichen Protagonistin der Fotografie des Neuen Sehens und der Neuen Sachlichkeit geben diese Buddha-Fotografien keinen Aufschluss. Dennoch kommt ihnen im Kontext des Buches eine bedeutendere Rolle zu als nur die, archivalisches Dokument der religiösen Kultur Asiens zu sein, wie sie Germaine Krull festhielt. Sie setzen die Erzählung von Ankana Kalantananda im Mittel der Fotografie fort und bilden ein narratives Muster, das Heidi Specker als Bezugspunkt in die eigene fotografische Erzählung montiert. Die narrative Anlage des Künstlerbuches rechtfertigt auch seine Aufmachung, die das Buch rein äußerlich nicht als Bildband kenntlich macht. Eher assoziiert man mit dem flächendeckenden kleinteiligen Muster des Umschlags einen belletristischen Inhalt.
Allerdings ist dieses Muster, das im Buch auf einer Hauswand zu entdecken ist und die Zahl 83 bezeichnet, schon ein handfester Hinweis auf die künstlerische Strategie Speckers. Die Wahrnehmung von Mustern wird als ein Ordnungsschema genutzt, dem das gesamte Projekt ebenso gehorcht wie die konkrete Abfolge der einzelnen Bilder. Immer wieder zeigen daher die Oberflächenornamente der Bauten und Buddhas, seien sie dem Verfall geschuldet oder der bewussten Ausschmückung, Analogien und erscheinen als Echo des einen Motivs auf das andere.
In der Gegenüberstellung der Fotografien, deutlich im Rahmen der eigenen aktuellen Arbeit, markiert Heidi Specker ihren Abstand zu Germaine Krull. Nirgendwo versucht sie, das Bild der bedeutenden Fotografin zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu rekonstruieren. Daher mag sich Speckers Hommage an die große Fotografin dem Betrachter nicht sofort erschließen, der mit Krulls Leben und Werk nicht vertraut ist. Seine Neugierde wird sie aber wecken. Es braucht kein Vorwissen, um zu spüren, wie stark Heidi Specker tatsächlich Germaine Krulls Perspektive auf Thailand macht – eben weil sie keine Notwendigkeit sieht, sie zu erklären und in den Zusammenhang des Krull’schen Werks einzubetten, sondern sie aus ihrer künstlerischen Position heraus kompromisslos akzeptiert.
„Bangkok. Heidi Specker. Germaine Krull“. Hrsg. von Ann und Jürgen Wilde, anlässlich der Ausstellung im Sprengel Museum Hannover (bis 26. Juni), dort erhältlich für 48 €. Deutsche Auflage: 300 nummerierte Exemplare. In Erinnerung an Germaine Krull geht der Erlös des Buchverkaufs an die tibetischen Flüchtlinge in Indien.