piwik no script img

Archiv-Artikel

Bürokratie im Stahlfass

Jedes Jahr lagert das Land Nordrhein-Westfalen Mikrofilme von Akten in einen unterirdischen Stollen ein. Die Digitalisierung für das nationale Kulturarchiv stellt die Archivare zunehmend vor Probleme

„Eine mittelalterliche Urkunde auf Pergament hält sich ewig“

VON ELMAR KOK

155 Regalkilometer Geschichte des Landes Nordrhein-Westfalen lagern in einem badischen Bergwerk. Der Barbarastollen in Oberied bei Freiburg ist das nationale Kulturarchiv, in dem auch das Land NRW versucht, seine Geschichte zu konservieren. Allerdings ist der Stollen, der wegen seiner klimatisch guten Eigenschaften auserwählt wurde, nicht groß genug für Akten aus Papier, deshalb wird nordrhein-westfälische Geschichte vor dem Einlagern abgefilmt und dann auf Mikrofilm gebannt. Die werden in Stahlfässern fest verschlossen in den Stollen gebracht. Gesetzliche Grundlage für die Archivierung ist die „Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten“, der sich die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 1954 angeschlossen hat. Mit Beginn des kalten Krieges verpflichteten sich die beitretenden Länder, ihre Kultur „atomwaffensicher“ zu archivieren.

Einerseits sind 155 Regalkilometer so gut wie nichts. „Zwei Prozent der Akten und Urkunden des Landes sind mittlerweile verfilmt“, sagt Marcus Stumpf, der NRW-Landesarchivar. Andererseits sagt er, „die wirklich bedeutenden Urkunden sind mittlerweile verfilmt worden“. Mit 25.000 eingelagerten Mikrofilmen seien wichtige historische Bestände abgedeckt, so Stumpf. Dazu gehören beispielsweise die Baupläne des Kölner Doms oder der Vertragstext des Westfälischen Friedens vom 24. Oktober des Jahres 1648.

Der Stollen, ein ehemaliger Versorgungsstollen des Schauinsland-Bergwerks wird seit 1974 als „Zentraler Bergungsort der Bundesrepublik Deutschland“ genutzt und ist die größte europäische Lagerstätte zur Langzeitarchivierung. Die Temperatur innerhalb des Stollens von durchgängig 10 Grad Celsius und die konstante Luftfeuchtigkeit von 75 Prozent sorgen dafür, dass sich die „eingedosten“ Mikrofilme 500 bis 1.500 Jahre lagern lassen. Seit 1974 werden historische Dokumente eingelagert. Die Länder verfahren bei der Einlagerung ihrer Kultur unterschiedlich. Während das Land Niedersachsen schon mit dem Abfilmen großer Pläne und Karten angefangen habe, sind in NRW noch keine historischen Karten verfilmt. Nach Haager Konvention sind die Länder zuerst in der Pflicht, Dokumente der „Dringlichkeitsstufe 1“ zu archivieren. Unter dieser Stufe verstehen die Archivare Dokumente „mit besonderer Aussagekraft über die Geschichte und die Kultur des deutschen Volkes“. So formuliert es das Bundesamt für Bevölkerungsschutz, das den Barbarastollen verwaltet.

Die Archivierung der Urkunden und Akten lässt sich das Land etwas kosten. Auf einen Mikrofilm, der ungefähr 25 Euro kostet, passen 2.500 Aufnahmen. Eine Archivkraft mache so einen film in „ein bis zwei Tagen voll“, sagt Stumpf. Der Stundensatz liege bei 40 Euro. Aber das Equipment wird zunehmend teurer. Schuld daran ist das Digitalzeitalter. Denn Firmen, die archivieren, benötigen nicht eine solch lange Zeitspanne und greifen deshalb fast ausschließlich auf digitale Datenträger wie CD-Roms, DVDs oder Magnetbänder zurück. Deshalb sei Mikrofilmequipment immer teurer geworden, sagt Stumpf. „Es ist mittlerweile eine Nischenanwendung.“ Für die Archivare ist allerdings der analoge Weg der Datensicherung weiter „state of the art“. Mit den Digitaldaten werde es zunehmend schwieriger, zu Archivieren. „Versuchen sie heute mal auf einem Windows-PC eine Word-Datei zu öffnen, die noch auf einem DOS-System unter Word 5.0 geschrieben wurde.“

Deshalb werden digitale Daten auch auf Mikrofilm ausbelichtet, schließlich weiß niemand, ob und welche Computersysteme es in ferner Zukunft gibt. Der Mikrofilm lässt sich zur Not auch noch mit einer guten Lupe lesen. Aber auch das heute genutzte Papier ist vergänglich. „Holzschliffpapier enthält Säure und zersetzt sich im Laufe der Zeit“, sagt Stumpf, „wir werden Überlieferungsverluste erleiden“. In der guten alten Zeit war das noch anders: „Eine mittelalterliche Urkunde auf Pergament hält sich ewig.“