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Archiv-Artikel

Ein Aufklärer ersten Ranges

NACHRUF Der Historiker Ernst Klee, Autor eines Standardwerks zur Euthanasie, ist gestorben

Der 1942 in Frankfurt geborene Ernst Klee war Historiker, Journalist und Filmemacher, aber eigentlich gelernter Theologe und Sozialpädagoge. Nach dem Studium unterrichtete er von 1973 bis 1982 an der Frankfurter Fachhochschule Behindertenpädagogik. Seit 1983 war Klee freier Autor. Er weckte mit seinen Arbeiten das Interesse der Öffentlichkeit für die Belange von behinderten Menschen.

Die vor wenigen Jahren erschienene Neufassung seines Standardwerks „Euthanasie im Dritten Reich“, ursprünglich aus dem Jahr 1983, widmete er dem 1938 geborenen, an Muskelschwund leidenden August Steiner, der die Nazizeit nur überlebte, weil ihn seine Mutter vor den Ärzten versteckte.

Von seinem ersten Buch an, dem „Behinderten-Report“ (1974), kümmerte sich Ernst Klee um die Geschichte des Umgangs mit und die Rechte von Behinderten wie kaum jemand anders. Klees Buch „Wir lassen uns nicht abschieben. Bewusstwerdung und Befreiung der Behinderten“ (1979) war eine Initialzündung für die deutsche Behindertenbewegung. Aufgrund seiner Bücher, journalistischen Arbeiten und Dokumentarfilme wurden in den psychiatrischen Anstalten, den Tatorten der Vernichtung „lebensunwerten Lebens“, wie es im ärztlichen Nazi-Jargon hieß, in den 80er Jahren Gedenkstätten eingerichtet.

Klee brachte Licht ins Verdrängte und Vergessene. Er war ein Aufklärer ersten Ranges. Für seinen Dokumentarfilm über Kleinwüchsige („Verspottet“ von 1981) erhielt er den Adolf-Grimme-Preis. Insgesamt verfasste Klee rund zwei Dutzend Bücher, für die er mehrfach ausgezeichnet wurde. Die meisten erschienen in der von Walter Pehle betreuten, legendären „Schwarzen Reihe“ über „Die Zeit des Nationalsozialismus“ (Verlag S. Fischer). Darunter sind Standardwerke wie „Deutsche Medizin im Dritten Reich. Karrieren vor und nach 1945“ (2001) sowie die lexikalische Trilogie: „Das Personenlexikon zum Dritten Reich“ (2005), „Das Kulturlexikon zum Dritten Reich“ (2009) und das letzte Werk „Auschwitz – Täter, Gehilfen, Opfer. Ein Personenlexikon“ (2013).

Die Verleihung der Goethemedaille der Stadt Frankfurt im Jahr 2001 begründete die Jury damit, sein Werk sei geeignet, „bürgerliche Freiheit, moralischen und intellektuellen Mut zu fördern und dem Gegenwartsbewusstsein wichtige Impulse zu geben“. Seit längerer Zeit litt Klee unter einer schweren Krankheit. Am 18. Mai ist Ernst Klee gestorben. RUDOLF WALTHER