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Archiv-Artikel

Balsam fürs Militär

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

Frankreichs größte Atom-U-Boot-Basis, Île-Longue in der Bretagne, bot gestern Mittag die Kulisse für den möglicherweise letzten großen Auftritt von Staatspräsident Jacques Chirac als Chef der Force de Frappe. Der 73-jährige Staatschef und zugleich oberste französische Militärchef nutzte den Neujahrsbesuch, um neue militärische Perspektiven für die Zukunft zu eröffnen. Unter anderem lieferte der Präsident ein erweitertes Feindbild: „Die Führer von Staaten, die versucht sind, auf terroristische Mittel zurückzugreifen, oder die auf die eine oder andere Art beabsichtigen, Massenvernichtungswaffen zu nutzen, müssen verstehen, dass sie eine harte und angepasste Antwort von uns riskieren. Diese Antwort kann konventionell sein. Sie kann auch anderer Natur sein.“

Mit „anderer Natur“ meint Jacques Chirac Atombomben. Namentlich nannte er die Staaten, die er nun ins Visier genommen hat, nicht. Vielmehr sprach der Staatspräsident von „Regionalmächten“ sowie von „gewissen Staaten“, die der Versuchung erliegen würden, sich „im Widerspruch zu internationalen Abkommen mit Atomwaffen auszustatten“. Die Machthaber in Teheran und Islamabad sowie jene in Peking dürften Chiracs Rede mit Interesse zu Kenntnis genommen haben.

Bislang galt die Force de Frappe, die in der Nachkriegszeit von Staatspräsident Charles de Gaulle geschaffen worden war, als ultimatives Mittel, um Angriffe auf das nationale Territorium Frankreichs zu verhindern. Doch davon war gestern in Île-Longue keine Rede. In seiner Rede sagte Chirac ausdrücklich: „Seit dem Ende des Krieges gibt es gegenwärtig keine direkte Bedrohung einer größeren Macht für uns.“ Doch trotz des Endes der „bipolaren Welt“ sieht er Gefahren für den Frieden. Chirac: „In zahlreichen Ländern breiten sich radikale Ideen aus, die die Konfrontation von Zivilisationen, Kulturen und Religionen predigen. Heute führt dieser Wille zur Konfrontation und zu hasswürdigen Attentaten (…). Morgen könnte sie andere, noch schwerwiegendere Formen annehmen und – vielleicht – auch Staaten implizieren.“

Nach dem Mauerfall hatte Frankreich die Zahl seiner atomaren Sprengköpfe verringert und mehrere landgestützte Atomwaffenbasen geschlossen. Heute setzt Paris „nur“ noch auf see- und luftgestützte Atombomben. Dafür gab es auch 2005 wieder 3,5 Milliarden Euro aus. Insgesamt hat Frankreich nach Schätzungen des Lyoner Atomwaffenobservatoriums zwischen 1945 und 2010 rund 300 Milliarden Euro für die Atomwaffen verplant.

Für zahlreiche französische Militärs war der gestrige Auftritt des Staatspräsidenten in der Bretagne Balsam auf ihre wunden Seelen. In den vergangenen Monaten standen die Armeeangehörigen vor allem wegen einer Mordaffäre in der Elfenbeinküste im Rampenlicht. Wegen der Tötung eines ivorischen Zivilisten ermittelt die Justiz gegenwärtig gegen mehrere Offiziere und einen hohen General.

Zugleich kritisierten der rechte Innenminister und UMP-Chef Nicolas Sarkozy wie auch einzelne Mitglieder der Sozialistischen Partei die hohen Ausgaben für die Force de Frappe. Freilich ohne ihre Existenz grundsätzlich in Frage stellen zu wollen. Auch im Inneren des Militärs gibt es eine Debatte über die mögliche Verlagerung einzelner Haushaltsposten von der Force de Frappe in andere Bereiche. Unter anderem die angeblich dringend benötigten neuen Hubschrauber.

Nachdem ihn in den vergangenen Wochen bereits Generäle um eine Stellungnahme gebeten haben, hat sich Chirac gestern in diese Debatte eingeschaltet. Einen Aufschrei des Entsetzens hat er damit nicht ausgelöst. Im Gegenteil. Die französischen Medien brachten die Meldung über seine Rede zunächst unter „ferner liefen“. Und in Armee und Rüstungsindustrie fand Jacques Chirac unmittelbaren Beifall.