: „Ich spare zuerst am Essen“
HARTZ IV Brauchen die Betroffenen mehr Geld? Oder kann man von der Stütze eigentlich ganz gut leben? Nach dem eindeutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat sich die taz bei Langzeitarbeitslosen vor dem Jobcenter in Kreuzberg umgehört
■ Nur knapp zwei Stunden nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu den Hartz-IV-Regelsätzen hat sich der Berliner Anwaltsverein mit einem besonderen Service gemeldet. Empfänger von Arbeitslosengeld II könnten am Freitag kostenlosen Rat bei einer Sprechstunde von 10 bis 14 Uhr bekommen, teilte der Vorsitzende des Vereins, Ulrich Schellenberg, am Dienstag mit. Wer bis zur Neuregelung des Gesetzes ergänzende Leistungen beantragen wolle, könnte seine Ansprüche überprüfen lassen. Auch die Jobcenter müssten sich in den kommenden Tagen auf viele Anfragen einstellen.
■ Zehn Rechtsanwälte stehen am Freitag im Haus des Deutschen Anwaltvereins (Littenstraße 11) zur Verfügung. Hartz-IV-Empfänger sollten ihre Unterlagen mitbringen. (dpa)
PROTOKOLLE SIMONE SCHMOLLACK
Jürgen, 48, alleinerziehender Vater von drei Kinder
„Ich rauche nicht, ich trinke nicht. Ich kaufe Lebensmittel im Angebot und Kleidung im Second-Hand-Shop. Trotzdem reicht das Geld oft nicht, zum Beispiel für Schulzeug oder neue Schuhe. Ich muss mir nicht ständig neue Klamotten kaufen. Aber meine Töchter brauchen mindestens alle drei Monate ein neues Paar Schuhe. Die alten sind dann runtergelatscht oder passen einfach nicht mehr.
Meine Mädchen sind 11, 14 und 18 Jahre alt. Seit sieben Jahren bin ich alleinerziehender Vater und lebe von staatlicher Unterstützung. Rund 1.750 Euro kriege ich vom Amt, inklusive Miete und Heizkosten. Außerdem bekomme ich 200 Euro zusätzlich zu Hartz IV, weil ich zurzeit als Hausmeister in einer Schule arbeite. Acht Stunden am Tag. Das ist mir sehr wichtig, fast wichtiger als mehr Geld – so nehme ich nämlich am sozialen Leben teil.
Meine Große bekommt 30 Euro Taschengeld im Monat, die Mittlere 20 Euro und die Kleine 2,50 Euro in der Woche. Davon müssen die Mädchen ihre Schulsachen kaufen und außerdem das Handy bezahlen. Sie sollen lernen, mit Geld umzugehen. Vor allem, wenn man wenig davon hat.“
Sandra, 27, Rechtsanwaltsfachgehilfin, Single, ein Hund
„Manchmal ist in meinem Portemonnaie schon am Monatsanfang Monatsende: absolut nix mehr drin. Da kann ich nur lachen, wenn andere sagen, Hartz IV reiche zum Leben. 359 Euro im Monat für einen Erwachsenen – was soll das? Es kann ja sein, dass Rentner mit dieser Summe auskommen. Ich schaffe das nicht. Ein 70-Jähriger lebt anders als ein 20-Jähriger. Wer älter ist, ist ja öfter zu Hause. Da braucht man eben nicht so viel Geld. Ältere Menschen müssen sich auch nicht mehr so viele Klamotten kaufen.
Ich kriege seit drei Jahren Hartz IV. Das gefällt mir nicht, aber ich kriege einfach keinen Job. Jetzt will ich eine Umschulung zur Sekretärin machen.
Ich spare zuerst am Essen. Dann haue ich mir eben tagelang nur Brot und Salami rein. Aber ich verzichte nicht auf Zigaretten und auch nicht auf das Futter für meinen Hund. Und mit meinen Freunden will ich auch einmal in der Woche ein Bier trinken. Das muss sein.
Hartz IV sollte erhöht werden. Aber die Leistung sollte an Bedingungen geknüpft werden: Jeder, der vom Staat lebt, sollte verpflichtet werden, sich Arbeit zu suchen.“
Jenny, 25, Heilerziehungspflegerin
„Ich habe heute Hartz IV beantragt, zum ersten Mal. Wenn ich in ungefähr drei Wochen den Regelsatz von 359 Euro bekomme, habe ich mit einem Schlag so viel Geld wie noch nie zuvor.
Während meiner Ausbildung habe ich keinen Cent bekommen, auch für die vielen Praktika nicht. Die vergangenen Jahre habe ich mich so durchgeschleppt. Manchmal habe ich morgens überlegt, was ich Leckeres aus Hirsebrei, dem Rest im Nutella-Glas und Zucker kochen kann.
Für mich bedeutet Hartz IV Reichtum. Im Grunde kann man in Deutschland einigermaßen gut überleben, ohne auch nur einen Tag zu arbeiten. Ich verstehe die Leute nicht, die ständig klagen: Hartz IV ist eine Grundsicherung, mehr nicht, aber nicht weniger. Und das sollte es auch bleiben.“
Claudia, 38, Verkäuferin, verheiratet, 2 Kinder
„Das Beste an Hartz IV ist das Sozialticket. Für 33,50 Euro im Monat bin ich mobil und flexibel. Das muss ich auch sein: Ich fahre in der ganzen Stadt umher, um das Leben meiner Familie zu organisieren. Ich schaue morgens im Internet, wo es preiswerte Lebensmittel gibt und wo jemand Kinderkleidung ausrangiert.
Ich bin seit anderthalb Jahren arbeitslos, mein Mann hat seit zwei Jahren keinen Job. Unsere kläglichen Ersparnisse sind längst aufgebraucht. Unsere Tochter ist 13 Jahre alt, unser Sohn 5. Vor Weihnachten habe ich kostenlos einen Schlitten ergattert und einen billigen Computer für meine Tochter gekauft. Im Laden hätte ich die nicht bezahlen können.
In der Kita kann man Armut noch ganz gut verstecken, in der Schule geht das nicht mehr. Die Klasse meiner Tochter macht jedes Jahr eine Klassenfahrt. Einmal ging es an die Nordsee, eine Woche für knapp 300 Euro. Ich weiß nicht, wie andere Eltern so was bezahlen. Vielleicht sind wir ja auch die einzige Familie in der Klasse, die nichts hat. Meiner Tochter ist das alles peinlich, und sie will überall dabei sein. Das soll sie auch. Für uns bedeutet das immer, sparen, sparen, sparen. Dafür fallen dann Kino, Eisessen und der Malkurs aus.“
Jörg, 32, arbeitslos
„Ich bin froh, dass es Hartz IV gibt. Ohne den Staat wäre ich jetzt aufgeschmissen. Vor einem halben Jahr habe ich auf dem Bau gearbeitet, aber die haben mich um meinen Lohn beschissen. Ich konnte meine Miete nicht mehr bezahlen und wäre fast aus der Wohnung geflogen. Ich habe mir Geld von Freunden geborgt und zahle das jetzt in Raten zurück. Das mache ich von Hartz IV. Also versuche ich, mit dem Geld vom Amt auszukommen. Ich überlege mir zum Beispiel ganz genau, welche Wege ich habe und wie ich die kombinieren kann, um nur einmal 2,10 Euro für ein U-Bahn-Ticke auszugeben.“
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