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Archiv-Artikel

„Die Atomaufsicht ist ideologisch“

SPD-Umweltstaatssekretär Michael Müller wirft den Unionsländern vor, die Sicherheit ihrer Atommeiler nach parteipolitischem Kalkül zu bewerten und schönzureden: „Nach CDU-Maßstäben müsste eine Reihe von Reaktoren sofort stillgelegt werden“

INTERVIEW NICK REIMER

taz: Herr Müller, Ihr Chef – Umweltminister Sigmar Gabriel – hat angekündigt, die deutsche Atomaufsicht international prüfen zu lassen. Was ist an der denn so schlecht?

Michael Müller: In der aktuellen Atomdebatte wird immer behauptet, deutsche Atomkraftwerke seien die sichersten der Welt. Wir haben daran unsere Zweifel – und deshalb hat schon Jürgen Trittin die Internationale Atomenergie-Agentur zur Prüfung eingeladen. Die Bundesländer üben zudem ihre Aufsicht höchst unterschiedlich aus.

Heißt „unterschiedlich“ politisch gefärbt?

Grundlage ist stets das Urteil von Fachleuten. Die werden aber in einen politischen Kontext eingebunden. Das bedeutet: Unterschiede in der Aufsicht der Länder sind auch ideologisch.

Zum Beispiel?

Nehmen wir Biblis: Die bündnisgrünen Umweltminister waren bei der Durchsetzung von Sicherheits- oder Betriebsmaßnahmen wesentlich härter als der aktuelle Umweltminister der CDU in Hessen.

Nun ist die Internationale Atomenergie-Agentur unverdächtig, gegen Atomstrom zu sein. Was erhoffen Sie sich von den Lobbyisten?

Wenn die Atomenergie-Agentur ihre eigenen Maßstäbe zu Grunde legt, dann wird sie eine Reihe von erheblichen Sicherheitsbedenken feststellen müssen. Das hat sich auch in der Schweiz gezeigt, wo eine entsprechende Untersuchung stattgefunden hat. Und es gibt auch politische Widersprüche.

Inwiefern?

Als Bundesumweltministerin hat Angela Merkel einst gefordert, dass bei einem Reaktor-Unfall die Folgen auf die Anlage begrenzt bleiben müssen. Ich kenne keine deutsche Anlage, die dieses Kriterium erfüllt. Also: Selbst nach CDU-Maßstäben müsste also eine Reihe von Reaktoren sofort stillgelegt werden.

Nun ist es aber gerade die CDU, die die Laufzeiten verlängern will.

Wenn jemand über die Verlängerung von Laufzeiten redet, soll er bitte schön konkret werden. Es geht um die ältesten Kraftwerke, um Biblis, Neckarwestheim und Brunsbüttel. Ältere Kraftwerke besitzen wesentlich schlechtere Sicherheitssysteme als neuere: Sie haben dünnere Wände, weniger gut aufeinander abgestimmte Kühlsysteme, eine gefährliche Vermischung von elektronischen und mechanischen Steuerungen. Wer über Laufzeitverlängerungen redet, der muss seinen Wählern erklären, dass er diese alten Reaktoren länger laufen lassen will. Später modernere, sicherere früher abschalten muss. Ich wünsche dabei viel Spaß!

Die Betreiber könnten immerhin nachrüsten, in Sicherheit investieren?

Zu Biblis A wurde zwischen Land, Bund und Betreibern im Atomkonsens vereinbart, dass die Sicherheitsleistung dieses Kraftwerkes nur bis höchstens 2009 vertretbar ist. Sollte der Betreiber das Kraftwerk länger betreiben wollen, hätte er also längst mit dem Einbau von mehr Sicherheit beginnen müssen – das dauert nämlich seine Zeit und würde sehr viel Geld kosten.

Die CDU will einfach nicht locker lassen: Zerbricht die Koalition an der Atompolitik?

Die Kunst ist doch, dem Koalitionspartner klar zu machen, dass diese Frage eine Scheidelinie ist. Die Kampagne war nichts anderes als der Versuch, die SPD-Position aufzubrechen. CDU-Strategie war: die Umweltleute der SPD zu isolieren und einzelne Prominente zu finden, die sich öffentlich anders äußern. Der CDU muss jetzt aber klar sein, dass diese Position steht. Außerdem muss ihr deutlich sein, wie fundamental die Frage ist. Man kann das gut an Sigmar Gabriel erkennen: Obwohl der nicht aus der ökologischen Ecke kommt, hat er diese Position unerbittlich und sehr hart vertreten.

Warum glauben Sie, will die CDU unbedingt als „Nichtabschalt-Partei in die Geschichte eingehen?

Zwei Gründe: Erstens glaubt die Union im Kern, dass Atomkraft die richtige Energiequelle der Zukunft ist. Zweitens glaubt die Union, so Wirtschaftspolitik zu machen. Denn die AKWs sind längst abgeschrieben – ihr Strom deshalb billig.

Kann die SPD der Union nicht dankbar sein? Jetzt können sich die Sozialdemokraten als Ausstiegspartei profilieren und damit den Bündnisgrünen die Show stehlen.

Es geht nicht darum, jemandem die Show zu stehlen. Dazu ist das Thema viel zu wichtig: Es geht um eine friedlichere Welt. Die wird es nur geben, wenn wir deutlich weniger Energie verbrauchen. Dagegen aber steht die Logik der Atomkraft.