: Neuer Kosmos in alter Kulisse
AUS KÖLN SEBASTIAN SEDLMAYR
Die Speisekarte im „Media Kebab“ ist zweisprachig. Ganz hinten in dem nach Döner duftenden Raum unterhalten sich zwei Männer deutscher Herkunft in Anzug und Krawatte, an den andere Tischen rauchen türkischstämmige Männer mittleren Alters Zigaretten. Von dem Restaurant in der Kölner Keupstraße sind es fünfzig Schritte bis zum Eingang der „Viva Media AG“ in der Schanzenstraße 22 im Stadtteil Mülheim. Das Firmenschild leuchtet zwar immer noch in blassem Neongrün, aber hinter der roten Backsteinfassade ist von Viva fast nichts geblieben. Mehr als 100 Mitarbeiter mussten abziehen, seit der neue Eigentümer Viacom den Sitz des Fernsehsenders nach Berlin verlegt hat. „Dieses Gebäude wird überwacht“, steht an den Fenstern des wuchtigen Baus.
„Mülheim hier und Mülheim dort – das sind Parallelgesellschaften.“ Norbert Wansleben steht am Fenster seines Architekturbüros im dritten Stock wie auf einer Kanzel. Von hier aus sieht er noch einen letzten Zipfel vom rückwärtigen Teil des Viva-Gebäudes. Ein Schwenk und er blickt direkt auf die Schanzenstraße, auf deren anderer Seite bei Colonia Media „Tatorte“ und „Fahnder“ produziert werden.
Manchmal braust unter Wanslebens Fenster ein 3er BMW aus der Keupstraße durch. Aber sonst kommen Besucher eher zu Fuß und von weiter her, passieren Wanslebens Büro auf dem Weg zu Rock- und Popkonzerten im E-Werk oder im Palladium. „Letzthin, als Tokio Hotel hier gespielt hat, war die ganze Straße voller hysterischer Mädchen“, sagt Wansleben und grinst. „Ich bin nicht mehr durchgekommen.“
„Parallelgesellschaften“
Das Palladium und das E-Werk liegen direkt hinter dem flachen Backsteinschiff, mit dem für Wansleben hier in den 90er Jahren alles angefangen hat. Das Staatliche Amt für Arbeitsschutz sollte in den herunter gekommenen Industriebau einziehen. Aber ganz schnell. „Wir mussten den Handwerkern auf dem Boden anzeichnen“, erinnert er sich. „Wir hatten nur ein halbes Jahr für den Umbau.“ Für detaillierte Pläne war da keine Zeit. Deswegen bezog Wansleben das Gebäude nebenan. Er wollte näher an der Baustelle sein. Seitdem hat er es sich unter der hohen Decke des Lofts gemütlich gemacht. „Das ist das genaue Gegenteil von der Reißbrettarchitektur eines Kölner Mediaparks“, sagt er. „Hier ist etwas, das wächst und sich nach seinen eigenen Bedürfnissen ausbreitet.“
An den Wänden in Wanslebens Büro hängen Fotos seiner aktuellen Projekte. Eines davon zeigt eine Diskothek in Düsseldorf – ein gewagter, aber eleganter Bau irgendwo zwischen Bauhaus und Postmoderne. „Die alten Industriehallen sind für Diskos wohl nicht mehr so gefragt“, sagt der Mittvierziger. Die zerschlagenen Fensterscheiben im Nebengebäude wirken so vorgestrig wie zerrissene Jeans. Das Sonnenlicht dringt fahl in den mit Stellwänden parzellierten länglichen Raum. Ein ewiges Provisorium. Wansleben nickt rüber zum Nebenhaus. „Dort könnte man auch einziehen“, sagt er. In ein neues Provisorium.
Hinter Wanslebens Loft verzweigt sich das alte Felten&Guilleaume-Werksgelände. Die kopfsteingepflasterten Gassen sehen aus wie die Kulisse einer Arbeiterstadt. Doch hier ist niemand zu sehen, der arbeiten würde. Nur hinter den Vorhängen und Jalousien der weißen, doppelt verglasten Sprossenfenster sieht manchmal ein geschorener Kopf über einem Flachbrettbildschirm nach draußen. Die IT-Branche.
Ein paar Meter weiter, hinter dem kleinen Fernsehstudio, in dem zum Beispiel die RTL-Serie „Ritas Welt“ gedreht wurde, lichtet sich die Szene wieder. Eine breite Straße geht nach rechts ab in die hintersten Gefilde, wohin der Rest der Kabelindustrie sich zurückgezogen hat. Etwas mehr als 700 Menschen sollen hier noch beschäftigt sein. Auf dem ganzen Areal sind es angeblich rund 3.000.
Zur anderen Seite führen Gleise über die Schanzenstraße. Von dort nähert sich ein uriges Dröhnen. Ein schwerer alter Zug schnaubt und scharrt heran, als käme er geradewegs aus der Augsburger Puppenkiste. Vorne, auf dem Tritt des ersten Wagens, steht einer im Blaumann, Zigarettenstumpen in der rechten, eine lederne, quadratische Tasche in der linken Hand, das Käppi tief im Gesicht. Auf den drei offenen Güterwaggons, die zwischen dem Mann auf dem improvisierten Führerstand und der eigentlichen Lok eingespannt sind, reihen sich dicke Kabelrollen. Hier verkehrt die DWK Drahtwerk Köln GmbH. Auf dem Pappschild, unter dem der Zug hervorkommt, steht „Sat.1 – Was guckst Du?“ Dahinter wehen ehemals weiße, jetzt graue Fahnen mit der Aufschrift „Das Erste“. Zwischen Schild und Fahnen führt ein schmaler Gang zum Studio 449: dem Reich Harald Schmidts.
„Köln ist beherrschbar“
Hier wird gearbeitet. In Pullover und grün schimmernder Cordhose mischt sich Schmidt unter die Handwerker, die gerade sein Studio umbauen. Damit wieder mehr Zuschauer Platz finden, ist er aus dem kleinen Saal mit 100 Sitzgelegenheiten in den alten Bereich aus Sat.1-Zeiten zurückgekehrt. Von den 250 Kinosesseln sind die meisten noch nicht montiert. Um einen sicheren Platz zu finden, zieht sich der Hausherr in die hinteren Ränge zurück. Von hier aus kann er die neue Kulisse überblicken: ein dreißig Meter langes, verschwommenes Bild von Manhattan bei Nacht. „Ich krieg von Mülheim nicht viel mit“, sagt Schmidt. Der Entertainer will lässig mit dem Fuß an die Brüstung drücken, um seinen langen Oberkörper ein wenig zu strecken. Doch die Brüstung gibt nach. Die Schrauben sind noch nicht ganz eingedreht.
Gegenüber im Palladium, bei den Gothic-Konzerten, „da sind Frauen!“ Ansonsten aber gäbe es „keine Berühungspunkte“, sagt der Berufsironiker. Die Kantine von Felten&Guilleaume besuche er gar nicht. Schmidt hat sich hier seinen Kosmos geschaffen. So passgenau ging es nur in der Mülheimer Schanzenstraße. „Das war eine Ruine, als ich 1997 hierher kam“, erzählt er. „Hier hat ein Herr mit Migrationshintergrund Autos repariert, es hat reingeregnet, eine Zeile stand komplett ohne Wand da.“
Heute durchmisst Schmidt mit seinen langen Schritten 7.000 Quadratmeter Studiogelände. Über dem großen Saal verbirgt sich die Technik: Regie, Ton, Schnittraum. „Wir könnten die Sendung eigentlich direkt von hier ausstrahlen“, sagt er, ganz Businessmann. „Ich habe einen Top-Autobahnanschluss, zwei Flughäfen in unmittelbarer Nähe, einen Hubschrauberlandeplatz.“ Und: „Köln ist beherrschbar.“ Dass die Zeit der Lofts in verlassenen Industriebauten vorbei ist, wisse er auch, so Schmidt. Und wenn schon. „Das ist das schönste Studio Deutschlands!“ Auf einem der Flure sitzt eine junge Empfangsdame und lächelt Schmidt zu. Wenn morgen das Studio eingeweiht wird, rauscht ihm der Applaus von 500 Händen entgegen. In der Keupstraße wird man davon freilich nichts hören.