: Optimistisch scheitern
KINDHEIT UND JUGEND Im Rahmen des Programms „4 Jahrzehnte Forum“ wird die selten gezeigte Trilogie von Bill Douglas „My Childhood“, „My Ain Folk“ und „My Way Home“ gezeigt, ein weithin ungesehener Kinomythos
VON BRIGITTE WERNEBURG
Der Rhythmus von Bill Douglas’ Filmtrilogie über seine armselige Kindheit und Jugend in einem schottischen Bergarbeitermilieu ist stockend, geradezu verstockt; genau wie es die Art von Jamie ist, seinem von Stephen Archibald gespielten Alter Ego. Aus diesem stockenden, bis zum Stillstand verlangsamten Rhythmus gewinnen Bill Douglas’ Filmbilder ihre bezwingende Spannung und eine atemberaubende Schönheit, in der die bittere Geschichte über Jamies unglückselige Lebensumstände auf vollkommen unsentimentale Weise zur großen, bewegenden Erzählung wird.
Unmittelbar scheint in dieser kargen, vor allem wortkargen und wenig geschmeidigen Inszenierung die gebrochene, unbeholfene Seele Jamies auf, die nur in krisenhaften Ausbrüchen zu einem selbstzerstörerischen Ausdruck findet. Mit ihren wenigen Kamerabewegungen und ihren weit über die erwartbare Dauer hinaus sich ausdehnenden Einstellungen korrespondiert diese karge Inszenierung auf bezwingende Weise mit der zurückhaltenden Körpersprache von Stephen Archibald, dem blassen, mageren Jungen mit der steilen Stirnfalte im müden Gesicht, den Bill Douglas in dem Dorf, in dem er drehte, auf der Straße fand. Zusammen mit seinem Bruder Tommy wächst Jamie im ersten Teil der Trilogie in einer nicht weiter benannten Bergarbeitersiedlung unweit von Edinburgh auf.
„My Childhood“ (1972) setzt in den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs ein, die Jungen leben bei ihrer Großmutter, die dem Umstand, dass Jamie und Tommy nicht denselben Vater haben, die Schuld zu geben scheint, dass ihre Tochter, nach damaligem Sprachgebrauch, im Irrenhaus landete. Einmal besuchen sie die Großmutter und Jamie. Aber Mary, die Mutter, verweigert jeden Kontakt und zieht die Bettdecke über ihren Kopf. Mit dieser Geste reagiert auch der trostlose Junge auf die Abreise von Helmuth, dem deutschen Kriegsgefangenen, mit dem sich das hungernde, vernachlässigte Kind angefreundet hat.
Gehasst und gequält
In „My Ain Folk“ (1973) werden Tommy und Jamie nach dem Tod der Großmutter getrennt. Tommy kommt ins Waisenhaus während Jamie von seinem Vater aufgenommen wird, der, wie inzwischen klar ist, die ganze Zeit über nur zwei Häuser weiter wohnte. Während der Vater bei der eigenen Familie lebt, schiebt er Jamie ins Nachbarhaus zu dessen Onkel und Großmutter ab.
Diese Großmutter hasst und quält ihren illegitimen Enkel. Nur einmal, als sie betrunken ist, erfährt Jamie ihre allzu heftige Zuneigung. Lieber Jesus, mach, dass sie öfter trinkt, lautet sein verzweifeltes und doch komisches Abendgebet. In seinem Großvater, der aus der Psychiatrie zurückkommt, findet Jamie einen Verbündeten, freilich nur für kurze Zeit, denn auch der alte Mann wird misshandelt und nimmt sich das Leben. Als der Onkel dann Jamie halbtot schlägt, flieht er ins Heim.
Doch sein Vater holt ihn zu Beginn von „My Way Home“ (1978) wieder nach Hause zurück. Schnell ist das Leben zu Hause für Jamie so unerträglich, dass er erneut weggeht, auf der Straße landet und am Ende noch einmal zu seiner Familie zurückkehrt. Doch nun dringt die Kamera nicht mehr in die kahlen, armseligen Räume vor, die das Zentrum des Films bilden, denn sie sind zugesperrt. Ohne Jamie zu benachrichtigen, ist seine Familie fortgezogen. Im nächsten Bild ist die Zimmerecke neben der Tür, in der die Kamera Jamie immer wieder stehen sieht, noch karger, allerdings auch sehr viel heller. Jamie ist nun in einer Militärbaracke der RAF in Ägypten zu Hause. In der gleißenden Wüstensonne schließt er mit einem älteren Kameraden, der ihn mit der Welt der Literatur, des Kinos und der Kunst bekannt macht, Freundschaft und entkommt endlich seiner Misere.
Es führt zu nichts
Verknappt und schnörkellos zeigen „My Childhood“, „My Ain Folk“ und „My Way Home“ die Erfahrung unentrinnbaren Scheiterns, wie sie Jamie einmal verzweifelt beklagt, egal was er auch versuche, es führe doch zu nichts. Bei Bill Douglas, dessen Kindheit ja die von Jamie ist, hat diese Erfahrung zu der grundsätzlichen Bereitschaft zu scheitern geführt – und damit zu einem ebenso grundsätzlichen Optimismus, der die Voraussetzung für jede gute Kunst ist.
Denn Bill Douglas muss nicht mehr fragen, was cool ist oder nicht, er filmt dieselbe Ecke wieder und wieder und lässt die Einstellungen so unerhört lange stehen, bis die rohe Präzision seiner lässigen, lapidaren Bilder den Film seiner erschütternden Kindheit von ganz allein zu erzählen scheint. Tatsächlich konnte Bill Douglas nur noch einen Spielfilm fertigstellen, bevor er 1991 starb. Seine selten gezeigte Trilogie ist ein weithin ungesehener Kinomythos. Dass die New Yorker Filmemacher Bradley Rust Gray und So Yong Kim für das Querschnittsprogramm zum 40. Geburtstag des Internationalen Forums des Jungen Films Bill Douglas wiederentdeckt haben, ist nicht nur ein Geschenk an das Forum, sondern an die ganze Berlinale.
■ Fr., 12. Februar, 20 Uhr, Delphi-Filmpalast
■ Sa., 13. Februar, 13.30 Uhr, Kino Arsenal 1