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In Arbeit (2): Die „Magdeburger Alternative“ macht einfache Arbeit bis zu 70 Prozent billiger. Das freut die Unternehmen und führt zu viel mehr Nachfrage nach dieser Arbeit
Die Arbeitslosigkeit in Deutschland ist vor allem ein Problem gering qualifizierter Menschen. Sie sind es, die massenhaft ihre Jobs verloren haben und auch in Zeiten von Hartz IV kaum Aussicht darauf besitzen, wieder in den Arbeitsprozess integriert zu werden. Es hat in den letzten 30 Jahren viele Versuche gegeben, das stetige Wachstum der Zahl der Langzeitarbeitslosen zu stoppen, aber alle sind kläglich gescheitert. Die „Magdeburger Alternative“ (www.arbeitistmachbar.de) ist ein Reformvorschlag, der darauf abzielt, die Kosten für einfache Arbeit zu senken, ohne dabei die Nettoeinkommen anzutasten und ohne in die Tarifautonomie einzugreifen.
Die Idee ist im Prinzip sehr einfach. Langzeitarbeitslosigkeit entsteht durch das Zusammenspiel von zwei ökonomischen Phänomenen, die seit langem bekannt sind: das so genannte Anreizproblem und die mangelnde Nachfrage nach Arbeit.
Wenig Anreiz zu arbeiten haben diejenigen, die arbeitslos werden, da sie über eine so niedrige Qualifikation verfügen, dass sie nicht mehr nachgefragt wird. Es lohnt sich einfach nicht für sie. Spätestens seit im Herbst 2005 die Hinzuverdienstmöglichkeiten für Empfänger von Arbeitslosengeld II (ALG II) verbessert wurden, lohnt es sich höchstens, einen halben Minijob anzunehmen. Ein Vollzeitjob ist aber völlig uninteressant, denn von dem zusätzlichen Verdienst werden zwischen 80 und 100 Prozent weggenommen, da im selben Umfang die ALG-II-Leistungen gekürzt werden.
Dieses Anreizproblem ist aber eben nur die halbe Erklärung für die Arbeitslosigkeit. Stellen wir uns vor, das Anreizproblem sei gelöst und die ALG-II-Empfänger würden plötzlich mit aller Macht auf den Arbeitsmarkt drängen, um nach Arbeit zu suchen. Würden sie welche finden? Wohl kaum, denn die von ihnen angebotene Arbeitskraft wird am Markt nicht nachgefragt, weil sie zu teuer ist.
Sie ist zu teuer, weil die Wertschöpfung, die man in unserem Land mit einfacher Arbeit erreichen kann, geringer ist, als die Kosten, die den Unternehmen für diese Arbeit entstehen. Und die Kosten der einfachen Arbeit erschöpfen sich bei weitem nicht in dem bisschen, was sich in der Lohntüte findet.
Hinzu kommen über 42 Prozent Sozialabgaben und eventuell auch noch die Lohnsteuer. Alles das muss aus der Wertschöpfung der Arbeit finanziert werden. Während das Einkommenssteuersystem sagt, dass Steuern nur für Einkommen zu zahlen sind, die über dem Existenzminimum liegen, verlangen die Sozialkassen ihren Beitrag ab dem ersten Euro, den man verdient. Diese Konstruktion der Solidargemeinschaft, die den Kern des sozialen Sicherungssystems bildet, schafft ein Sozialstaatsdilemma. Denn sie führt dazu, dass der Sozialstaat selbst die Fälle schafft, für die er erdacht wurde. Die Magdeburger Alternative versucht, dieses Dilemma zu durchbrechen.
Im Kern besteht der Magdeburger Vorschlag darin, dass ein Unternehmen dann, wenn es einen ALG-II-Empfänger zusätzlich einstellt, vom Staat die gesamten Sozialabgaben erstattet bekommt – also Arbeitgeber- und Arbeitnehmeranteil. Und nicht nur das: Sind in dem Unternehmen bereits Menschen beschäftigt, deren Einkommen unter der Förderhöchstgrenze liegt, dann werden auch die Sozialabgaben dieser Beschäftigten erstattet. Damit wird verhindert, dass die Unternehmen die subventionierten ALG-II-Empfänger einstellen und die bislang regulär Beschäftigten entlassen.
Das klingt, als wäre es für den Staat sehr teuer, doch das Gegenteil ist richtig. Die Übernahme der Sozialabgaben für den ehemaligen Arbeitslosen kostet den Staat nichts: Die Zahlung des Bundes an die Sozialkassen löst einen Zahlungsstrom von einer öffentlichen Kasse in eine andere aus, ist aber insgesamt kostenneutral. Am Leistungsanspruch eines ALG-II-Empfängers gegenüber den Sozialkassen ändert sich nichts dadurch, dass er eine Arbeit aufnimmt. Zwar muss der Staat nun auch Sozialabgaben für diejenigen übernehmen, die bislang selbst ihre Sozialabgaben bezahlt haben. Dafür spart er aber die ALG-II-Zahlungen und die Unterkunftskosten – und das rechnet sich.
Die Effekte der Reform sind enorm. Einfache Arbeit wird bis zu 70 Prozent billiger. Das freut die Unternehmen und führt zu einer erheblichen Ausweitung der Nachfrage nach dieser Arbeit. Und da die Senkung der Arbeitskosten dauerhaft ist, lohnt es sich, über die Schaffung neuer und dauerhafter Jobs ernsthaft nachzudenken. Dass dies erreicht wird, ohne in die Tarifautonomie einzugreifen, sollte die Gewerkschaften freuen – was es aber offensichtlich nicht tut, wie die ablehnende Haltung von Ver.di belegt.
Die Nettolöhne bleiben unangetastet – was die Arbeitnehmer freut, und der Staat spart jährlich mehrere Milliarden Euro, was den Finanzminister freut: Die Magdeburger Alternative verspricht das, was Politiker glücklich macht: Sie wirkt und kostet nichts.
Kann man dem trauen? Woher sollen zum Beispiel die neuen Jobs kommen? Unseren Schätzungen zufolge lassen sich mit der Magdeburger Alternative insgesamt 1,7 Millionen neue Arbeitsstellen schaffen. Das ist eine sehr vorsichtige Schätzung, die davon ausgeht, dass bei einer Senkung der Arbeitskosten um 10 Prozent die Arbeitsnachfrage um 5 Prozent wächst.
Das Münchner Ifo-Institut schätzt sogar weit weniger vorsichtig und erwartet für jedes Prozent Kostensenkung auch ein Prozent mehr Arbeitsnachfrage. Natürlich werden nicht alle neuen Jobs von heute auf morgen da sein. Aber die Absenkung der Arbeitskosten um ein Drittel wird auch kurzfristig mehr Wirkung haben als die gesamte aktive Arbeitsmarktpolitik der letzten dreißig Jahre. Mittel- bis langfristig werden Jobs aus der Schattenwirtschaft auftauchen, und sehr schnell werden Minijobs wieder in Vollzeitstellen umgewandelt werden.
Darüber hinaus werden neue Arbeitsplätze entstehen, zunächst im Dienstleistungsbereich aber auch im Handwerk und im verarbeitenden Gewerbe. In den letzten drei Jahren, in denen wir mit sehr vielen Menschen über die Magdeburger Alternative diskutiert haben, sind uns zahlreiche Beispiele dafür gezeigt worden. Sie reichen vom High-Tech-Unternehmen, das Fahrer und Hausmeister braucht, bis zur Caritas und der Landwirtschaft.
Ein Wort noch zur Frage des Mindestlohns: Friedrich Merz hat unlängst behauptet, die Verbindung von Kombilohn und Mindestlohn bedeute das Ende der Marktwirtschaft. Wenn man Kombilöhne als Arbeitnehmerzuschüsse im Niedriglohnsektor einführt, so hat er Recht. Das wird teuer, ohne die Arbeitskosten zu senken und ohne neue Jobs zu schaffen. Die Zuschüsse kommen dann nur denen zugute, die bereits Arbeit haben. Doch können wir ihn beruhigen: Mit der Magdeburger Alternative liegt ein Kombilohnmodell vor, bei dem gleichzeitig die Arbeitskosten drastisch sinken und ein Mindestlohn eingeführt werden kann, ohne damit die soziale Marktwirtschaft zu beerdigen.
RONNIE SCHÖB JOACHIM WEIMANN