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Archiv-Artikel

MASTODON, COLUMBIA-CLUB Keine Ansage

Wie der metallische Geschmack von Blut im Mund. So. Genau so hat sich das angefühlt

Gesetzt, einer ginge, nachdem er im Anschluss an einen ziemlich harten Arbeitstag einen Kleinen geraucht hätte, später am Abend dann doch noch auf ein Konzert, bei dem ziemlich harte Musik geboten würde, nähme also die U-Bahn zum Platz der Luftbrücke, fröstele wie immer dort über die irgendwie unverdrossene Präsenz faschistischer Architektur, bevor er über das Packeis auf dem schummrig beleuchteten Gehweg vorsichtig den Columbiadamm hinunterschlitterte, mit frischen Schneeflocken auf den Schultern wie Schuppen, die in der feuchten Wärme des Clubs natürlich rasch schmölzen, weil auf der Bühne bereits hitzig die Musikanten ihrem nicht eben unterkühlten Handwerk nachgingen – dürfte so einer nicht erwarten, umfassend unterhalten zu werden? Doch, dürfte er.

Mastodon aus Atlanta, USA, gelten als die Metal-Band der Stunde. Genau genommen gelten sie „in der Szene“ sogar als die Progressive-Sludge-Metal-Band der Stunde. Was nun aber vor allem daran liegt, dass selbst metal- und szeneferne Musikfreunde am aktuellen Album „Crack The Skye“ ihren Gefallen finden können, weil es zwar aussieht wie Metal, oft aber auch Freundlicheres durchschimmert, Folk beispielsweise, psychedelische Exkurse, Punkpop, klassischer Rock (im Sinne von „rawk“, wie die Amerikaner „richtigen“ Rock nennen), hippiesk versponnene Jam-Session, manchmal sogar männlicher Harmoniegesang, was dann klingt wie die Beach Boys in Splitterschutzwesten. Auf der Platte eine tolle Sache. Auf der Bühne indes tun sich die teilweise im Gesicht tätowierten Zausel schon schwerer, die komplexen Kompositionen wirklich abheben zu lassen. Manchmal fällt der Gesang hinten runter, manchmal die Gitarren, was bei gitarrenlastiger Musik irgendwie schade ist. Trotzdem entwickeln dank olympischem Schlagzeug und epischem Bass gerade die älteren, weniger ambitionierten Stücke einen so ungeheuerlichen Wumms, dass einem zunächst wirklich die Worte fehlen. Den Musikern geht’s ebenso, sie richten an diesem Abend kein einziges Wort an ihr in Ehrfurcht ergebenes Publikum.

Angenommen also, einer striche schon während der letzten Zugabe die Segel, dringe gegen Mitternacht endlich aufatmend ins Freie, stiege nachdenklich die Stufen hinab und suche noch, zügig ausschreitend, nach einem exakten Begriff, auf den sich die seltsam physische Wirkung des eben Gehörten denn trefflich bringen ließe, weshalb er dem tückisch vereisten Trottoir nicht die Aufmerksamkeit entgegenbrächte, die es gebraucht hätte, um eben nicht so unglücklich auszurutschen, dass er wie in Zeitlupe rückwärts zu Boden ginge, mit hilflos rudernden Armen und voller Wucht auf Kreuz und Hinterkopf – dürfte so einer nicht erwarten, dass ihm nun irgendeine Erkenntnis zuteil würde? Doch, dürfte er.

Und so dämmerte es mir endlich, mit benommenem Blick in den schwarzen Himmel und dem metallischem Geschmack von Blut im Mund. So. Genau so hat sich das angefühlt.

ARNO FRANK